Orheiul Vechi

Orheiul Vechi: Moldaus unbekanntes Heiligtum

Wenn Orheiul Vechi als wichtigste Sehenswürdigkeit Moldaus bezeichnet wird, fällt es schwer, diesen Titel einzuordnen. Moldau schließlich liegt irgendwo im Nirgendwo des mitteleuropäischen Bewusstseins. Gerade einmal 11.000 Reisende zieht es jedes Jahr hierhin. Orheiul Vechi? Nie gehört. Moldau? Was will man dort überhaupt? Wir bringen Licht ins Dunkel. Geschrieben von Marc.

Orheiul Vechi: Skurrile Landschaft

Da stehen wir. Viel wussten wir vorher nicht über dieses fremde Moldau. Dieses Land im Osten Europas, über das man in Deutschland nur dann etwas hört, wenn es beim Eurovision Song Content auftritt. Vor unserer Reise hörten wir lediglich, dass seine Hauptstadt Chișinău zu den hässlichsten der Welt gehören soll. Und wir hörten von Orheiul Vechi.

Vor unseren Augen breitet sich nun die skurril anmutende Landschaft dieses für viele Einheimische heiligen Ortes aus. Wir stehen auf einem der Hänge über Orheiul Vechi, die steil hinabfallen zum Ufer des Raut, der hier in zwei engen Schlaufen in Richtung Schwarzes Meer fließt. Es weht eine leichte Brise, die die weißgelben Gräser im Wind wild hin und her tanzen lässt. Unten im Tal lässt die Sonne die Zwiebelkuppel der Marienkirche golden funkeln. Wir halten inne und lassen die Blicke schweifen.

Orheiul Vechi Reisebericht
Das Kloster von Orheiul Vechi liegt eingebettet in eine pittoreske Flusslandschaft.

Querfeldein nach Orheiul Vechi

Welch Unterschied zum trubeligen Busbahnhof von Chișinău, von dem aus wir unseren Trip nach Orheiul Vechi gestartet hatten! Unser letzter Kontakt zur Außenwelt eine Backpackerin, die wie wir im Bus die knapp einstündige Fahrt hierher hinter sich hatte. Doch während sie sich entschloss, die verbleibenden sechs Kilometer zu trampen, liefen wir einfach querfeldein in Richtung Orheiul Vechi.

Genau das hatten wir uns vor unserer Reise vorgenommen. Natürlich hatten wir ein Ziel vor Augen, doch im Alltag vergisst man allzu oft, wie schön es sein kann, auf Bequemlichkeiten zu verzichten und statt Auto oder Bus einfach mal durchs Nirgendwo zu laufen. Dass sich daraus eine kleine Wanderung nach Orheiul Vechi entwickelte, umso besser. Doof nur, dass wir natürlich keine Wanderschuhe bei uns hatten.

Orheiul Vechi
Rund um Orheiul Vechi scheint der Hund begraben: Nicht mal Weidevieh begegnete uns auf unserer kleinen Spontan-Wanderung in Moldau.

Zwo, eins, Risiko!

Wir schlagen uns durch staubige Felder, Streuobstwiesen und einen Weinhügel in Richtung der Klippen. Dort angekommen, wollen wir natürlich auch hinunter ins Tal nach Orheiul Vechi gelangen, um das Höhlenkloster zu begutachten. Aufgrund der weiten Schleifen des Raut gibt es hierfür nur zwei Wege: Entweder die Sicherheitsvariante entlang der Klippen, um letztlich doch auf der Straße ins Tal zu watscheln. Oder eben die Risikovariante: Augen zu und ab nach unten kraxeln!

Natürlich entscheiden wir uns für Letzteres. Nun mag das Wort “Klippe” die Wirklichkeit etwas dramatisieren, und doch kommen wir ohne festes Schuhwerk auf staubigem Schotter ein ums andere Mal ins Schlittern. Wir verheddern uns im Gebüsch, müssen laufend an stacheligen Zweigen Halt suchen. Denn ein ausgewiesener Weg ist unsere Abkürzung beileibe nicht. Genau genommen ist sie das ausgetrocknete Bett eines Sturzbachs, der hier nach starken Regenfällen steil ins Tal hinabfällt.

Orheiul Vechi
Wein gehört zu den wichtigsten Exportprodukten Moldaus: Auch um Orheiul Vechi wird die eine oder andere Rebe angebaut.
Orheiul Vechi
Auch diese Steuobstwiese gehörte zu den Zwischenstationen unserer kleinen Wanderung nach Orheiul Vechi.

Orheiul Vechi und eine besondere Entdeckung

Der Vorteil an solch kleinen Abenteuern ist es, dass unterwegs sofort der Entdeckergeist geweckt wird. Und so geschieht es, dass John plötzlich Muscheln entdeckt, die im Laufe der Jahrtausende eins wurden mit dem Kalkstein der Hänge. Eine nachträgliche Recherche ordnet den kuriosen Fund ein: Vor 14 Millionen Jahren verband das Sarmatische Meer das heutige Südosteuropa mit dem heutigen Süden Russlands. Wir haben also quasi gerade Fossilien entdeckt!

Unten im Tal von Orheiul Vechi angekommen haben wir rund 300 Höhenmeter zurückgelegt. Ein Blick zurück zeigt uns, dass wir den gleichen Weg von unten nach oben angesichts der steilen Hänge wohl niemals nie auch nur in Betracht gezogen hätten.

Orheiul Vechi, ein Ort mit langer Geschichte

Orheiul Vechi ist ein Ort mit einer Menschheitsgeschichte, die bereits vor mehreren 100.000 Jahren begann. Historiker:innen sagen, dass dieses Fleckchen Erde schon in der Steinzeit besiedelt war. Bis heute hinterließen etliche Kulturen ihre Spuren, von Mongolen und Tataren über Ukrainer und Russen bis eben zu den Moldauer:innen in der heutigen Zeit – und das ist nur ein denkbar winziger Abriss.

Aus diesem Grund rückte das Gebiet im Zentrum der Republik Moldau in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker in den Fokus von Archäolog:innen und Historiker:innen. Die Fundamente eines Römischen Bades wurden genauso freigelegt wie die Überreste einer dakischen Festung oder einer Moschee, die Tataren wohl im 14. Jahrhundert errichteten. Es ist eine Wonne, sich durch die Geschichte der Region zu lesen und dabei von Völkern zu lernen, von deren einstiger Existenz man vorher kaum etwas gehört hat.

Orheiul Vechi
Das Kloster Orheiul Vechi versteckt sich auf diesem Bild noch hinter Hängen, die jedoch bereits einen ersten Blick hinab ins Tal freigeben.
Orheiul Vechi
Während unseres Ausflugs nach Orheiul Vechi badeten sogar ein paar Kinder im Raut, die im Dorf Butuceni auf der gegenüberliegenden Seite der “Landzunge” ihr Zuhause haben.

Laien in Orheiul Vechi

Man könnte Orheiul Vechi also locker einen mehrtägigen Besuch abstatten. Wir jedoch belassen es beim zentralen Butuceni-Hügel mit seinem Höhlenkloster und der winzigen Marienkirche. Ohne umfassendes Vorwissen allerdings ist die Bedeutung des Ortes kaum zu fassen. Die touristische Infrastruktur vor Ort ist rudimentär und noch längst nicht auf ausländische Reisende ausgerichtet.

Aufgrund dessen gehören für Unwissende wie uns die Gras kauenden Ziegen schon zu den Höhepunkten vor Ort. Genauso wie übrigens die Babuschka, die uns auf ihrem Gehöft im angrenzenden Bauernörtchen Butuceni einen frischen Salat zaubert, auf den wir uns gerade so mit Händen und Füßen einigen können.

Folge deine Neugier

Und so endet dieser Bericht mit einem zweischneidigen 1 THING TO DO für die – so sagen viele – wichtigste Sehenswürdigkeit der Republik Moldau. Zweischneidig deshalb, weil wir mit mehr Vorwissen vielleicht ganz andere Entdeckungen gemacht hätten. Doch lässt man einmal das Kulturelle und Historische beiseite, so war unsere spontane Wanderung nach Orheiul Vechi jener Reisemoment, der uns von unserem Ausflug in Moldaus Zentrum besonders in Erinnerung bleibt.

Es war das Querfeldein und die Unklarheit darüber, welcher Weg der richtige ist – und ob es überhaupt einen richtigen Weg gibt. Die Aussicht über die weiten Schleife des Raut, die wir auf dem “bequemen” Weg über die Straße gar nicht gesehen hätten. Es war die leise Windbrise, die um unsere Nasen säuselte, die wir im Auto so gar nicht gespürt hätten. Das Verlassen auf unsere Neugier, auf unsere Intuition, die auf vier Rädern gar nicht erst gefragt gewesen wäre.

Orheiul Vechi
Der heimliche Star unseres Ausflugs nach Orheiul Vechi war diese lässige Ziege auf dem Butuceni-Hügel.
Orheiul Vechi
Einfaches Dorfleben in Butuceni am Fuße der gleichnamigen Landzunge.

In Kürze: Unser 1 THING TO DO für Orheiul Vechi

Was? Autos Autos und Busse Busse sein zu lassen, um Orheiul Vechi zu erwandern.
Wo? So ziemlich im Zentrum Moldaus, circa 50 Kilometer von der Hauptstadt Chișinău entfernt.
Wie viel? Bei aller Wanderlust solltest ab Chișinău natürlich schon ein Stück vorfahren. Die Kosten für die Busse in Richtung Orheiul Vechi sind dabei fast nicht messbar. Die wenigsten Busse fahren allerdings direkt nach Buteceni. Wir nahmen deshalb einen Kleinbus in Richtung Orhei, der uns rund fünf Kilometer vor dem Ziel absetzte. Zwecks Rückfahrt am besten mehrere Personen nach dem nächsten Bus fragen. Es soll Busse geben, die im Fahrplan stehen, aber seit Jahren nicht mehr fahren. So haben wir zumindest es erlebt.
Warum? Um die Schönheit der Landschaft von Orheiul Vechi am eigenen Leibe zu spüren und beim Blick über die Schleifen des Raut abzuschalten.

Wenn du Station in Orheiul Vechi machst, dann steht garantiert auch ein Aufenthalt in Moldaus Hauptstadt Chișinău auf dem Programm. Auch in der vermeintlich zu hässlichsten Städte der Welt zählenden Kapitale haben wir uns natürlich auf die Suche nach einem 1 THING TO DO gemacht. Ob wir fündig wurden, erfährst du in unserem ↠ Chișinău-Reisebericht.

Reisen um zu reisen!
John & Marc

Mit diesem Artikel nehmen wir übrigens an der ↠ Europa-Blogparade von Trip to the Planet teil, in der du zu jedem Land Europas einen Reisebericht findest. Viel Spaß beim Stöbern!

Orheiul Vechi

Veröffentlicht oder inhaltlich überarbeitet am:


6 Antworten zu “Orheiul Vechi: Moldaus unbekanntes Heiligtum”

  1. Und ich dachte, die Moldau sei ein Fluss und das Land heißt Moldawien. Schon wieder was gelernt! Das Land heißt also offiziell Republik Moldau. Ich wünsche euch noch viel Spaß in dieser offenbar schönen Region.

    • Wir mussten uns auch erst mal entscheiden, wie wir es nun eigentlich nennen. 🙂 In der Tat fließt die berühmte Moldau gar nicht durch Moldau…

  2. Danke für diesen wirklich kurzweiligen Bericht über Orte, Städte und Regionen in denen ich noch niemals war. Aber ich war mit euch unterwegs und dachte bei den 300 Höhenmetern, dass ich unten angekommen, wahrscheinlich schreckliche Knieschmerzen ob des Kraxelns gehabt hätte 🙂 Solche unwegsamen Touren sind für mich leider nicht ratsam. Das war einmal, habe ich auch gemacht in eurem Alter, aber die Landschaft und das Höhenkloster muten sehr eindrücklich an. Danke und lieben Gruß, Sigrid

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