Die Weißen Nächte von Sankt Petersburg sind weltberühmt. Doch bleibt der Sommerhimmel in der Zarenstadt wirklich selbst dann hell erleuchtet, wenn die Sonne längst untergegangen ist? Ob der Mythos Weiße Nacht meinen Praxistest in der nördlichsten Metropole Europas bestanden hat, verrate ich dir in meinem Reisebericht aus Sankt Petersburg. Geschrieben von Marc.
Im Sapsan von Moskau nach Sankt Petersburg
Viel geschlafen habe ich nicht, als ich am Leningrader Bahnhof in Moskau in den ↠ Sapsan steige. Am frühen Morgen bin ich von Irkutsk zurück in die russische Hauptstadt geflogen. Aufgrund der Zeitverschiebung komme ich ebenfalls am Morgen am Flughafen Wnukowo an. Ohne an Bord auch nur eine Sekunde geschlafen zu haben! Was tut man nicht alles, um eine Weiße Nacht in Sankt Petersburg zu erleben.
Eigentlich wollte ich meine vierwöchige ↠ Russland-Reise in Moskau ausklingen lassen, wo ich bereits zu Beginn vier Nächte verbrachte. Irgendwo in Sibirien allerdings realisierte ich, dass ich ausgerechnet dann in Sankt Petersburg Station machen könnte, wenn die Weißen Nächte in Europas nördlichster Millionenstadt am längsten sind. Der Sapsan, ein hochmoderner Schnellzug, braucht nur viereinhalb Stunden für die Strecke ab ↠ Moskau. Ich buchte mir ein Online-Ticket – und nun soll der Traum, von dem ich lange gar nichts wusste, Wirklichkeit werden.
WM-Stimmung in Sankt Petersburg
Als ich in Sankt Petersburg ankomme, schüttet es wie aus Eimern. Zum ersten Mal bekomme ich wirklich etwas von der Fußball-Weltmeisterschaft mit. Die Straßen sind voll, unter Einheimische und übliche Touristen mischen sich Fußballfans aus aller Welt. Viel Zeit bleibt mir nicht in diesem Getümmel: Ich eile zum ↠ Baby Lemonade Hostel*, das lediglich als Gepäckablage und Schlafplatz dient. Schade eigentlich: Es gibt eine riesige Wohnküche mit Gratis-Limonade, die Betten in den Dorms versprechen unerwartete Privatsphäre und die Lage mitten im Zentrum der einstigen Zarenstadt ist perfekt für einen mehrtägigen Aufenthalt.
Doch ich will nicht lange fackeln: Todmüde breche ich in Richtung der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Sankt Petersburgs auf. Ich habe mir fest vorgenommen, solange wie nur möglich wach zu bleiben, um sie zu erleben. Der Gedanke an die berühmte Weiße Nacht hält mich wach. Noch dazu versetzt mich die Fünf-Millionen-Stadt gleich zu Beginn in eine Gefühlswelt, die ich so auf Reisen noch nicht erlebt habe.
Auf zur Peter-und-Paul-Festung
Der Regen hat aufgehört, als ich auf der Troizki-Brücke zwischen Marsfeld und ↠ Peter-und-Paul-Festung zum ersten Mal die Newa überquere. Die dunklen Wolken sind noch nicht ganz verzogen, von der Ostsee kommend ist das nächste Unheil schon im Anmarsch. Inzwischen jedoch hat sich die Sonne wieder heraus getraut. Sie steht bereits tief, ihre orangefarbenen Strahlen lassen die grauschwarzen Regenwolken golden erscheinen. Schon jetzt weiß ich: Sankt Petersburg ist die schönste Stadt, die ich auf meiner Reise durch Russland besuchen durfte.
Über der Peter-und-Paul-Kathedrale auf dem Gelände der Festungsanlage, die den Ursprung Sankt Petersburgs darstellt, sausen die Wolken nur so hinweg. Das ehemalige Leningrad hat hier eine Überraschung für mich parat: Als ich mich auf dem Weg zur nächsten Brücke begebe, höre ich Feuerwerkskörper knallen, die vermutlich von einem Boot abgefeuert werden. Als ich an Ort und Stelle ankomme, sehe ich nur noch schwarzen Rauch. Und doch beginnt Sankt Petersburg, mich in einen Rausch zu versetzen.
Emotionen auf dem Palastplatz
Zurück auf der anderen Seite der Newa höre ich Musik vom ↠ Palastplatz erklingen, unter der Alexandersäule spielt ein Straßenmusiker russische Radio-Klassiker mit seiner Gitarre. Um ihn herum haben sich ein paar Dutzend Russ:innen versammelt. Ich verstehe kein Wort, doch das macht nichts. Beinahe jede:r hier kennt die Texte und singt lautstark mit, irgendwann legt ein offenbar frisch verliebtes Pärchen eine kitschige Tanzeinlage hin.
Am Himmel über mir hat sich indes nichts getan. Goldene Wolken spiegeln sich zusammen mit ↠ Eremitage, einem der größten Kunstmuseen weltweit, und dem gegenüberliegenden Triumphbogen in den Regenpfützen. Überwältigt von der Situation schießen mir plötzlich Tränen in die Augen. Es ist zum einen die Schönheit des Moments, der Farben, der Architektur. Zum anderen fühle ich zum ersten Mal nach Wochen wieder so etwas wie Ungezwungenheit und Geselligkeit, die ich im restlichen Russland oftmals vermisste. Ich bin zurück in Europa.
Weiße Nacht: Nur ein Mythos?
Zufrieden darüber, dass sich der übermüdete Abstecher nach Sankt Petersburg schon jetzt gelohnt hat, setze ich meinen Spaziergang südlich der Newa fort. Die Sonne steht tief und versteckt sich hinter den opulenten Gebäuden der Altstadt. Ich beginne mich zu fragen, ob wirklich etwas dran ist am Mythos Weiße Nacht, denn schon vor Sonnenuntergang wird es merklich dunkler.
Westlich von Eremitage und Schlossplatz geht es ruhiger zu. Ich verliere mich im ruhigeren Teil des Stadtzentrums und laufe planlos an den Kanälen entlang, denen Sankt Petersburg seinen Titel als “Venedig des Ostens” verdankt. Gegen halb elf geht die Sonne unter, die Weiße Nacht beginnt. Zumindest vom Namen her, noch immer traue ich der Legende nicht. Zwar bleiben auch nach Sonnenuntergang zunächst alle Straßenlaternen ausgeschaltet. Doch irgendwann gegen Mitternacht ist es dann doch zu dunkel und sie beginnen, die Straßenfluchten zu erleuchten.
Weiße Nacht in Sankt Petersburg
Ein neuer Tag bricht an, inzwischen bin ich seit weit über 20 Stunden wach. Ich spaziere zurück zur Newa, wo das touristische Highlight der Weißen Nächte in Sankt Petersburg wartet. Gegen halb zwei werden die Brücken geöffnet, um auch größeren Schiffe die Einfahrt zu ermöglichen (↠ aktuelle “Öffnungszeiten“). Es ist eines dieser Happenings, von denen man im Vorfeld viel liest, letztlich aber nicht genau weiß, ob es die Mühe lohnt – in diesem Falle weitere schlaflose Stunden. Doch mir egal, ich habe mich in diese Stadt verliebt. Sie kann mit mir machen, was auch immer sie will.
Von der Isaakskathedrale mit ihrer goldenen Kuppel aus spaziere ich die letzten Meter zur Newa. Und siehe da: Am gegenüberliegenden Ufer erblicke ich abermals die Peter-und-Paul-Kathedrale, umrahmt von einem gelb-weißem Himmel. Die Sonne ist längst weg, doch ich kann sie noch erahnen. Es gibt sie wirklich, die Weißen Nächte von Sankt Petersburg.
Brückenöffnung in Sankt Petersburg
Am Südufer der Newa herrscht inzwischen dichtes Gedränge. Aberhunderte Einheimische und Tourist:innen haben sich versammelt, einige offenbar schon sehr früh, um die besten Plätze für das Spektakel zu erhaschen. Ich weiß noch immer nicht, was mich erwartet. So langsam nimmt mein Rausch ab, die Müdigkeit macht meine Augen schwerer. Ich kaufe mir einen Kaffee und einen Glühwein an einer der mobilen Bars am Ufer, spaziere noch ein wenig hin und her, bis plötzlich klassische Musik ertönt.
Das Gemurmel wird lauter, und beinahe jede:r zückt sein Smartphone, um festzuhalten, wie die festlich beleuchtete Schlossbrücke auf die Minute pünktlich feierlich geöffnet wird. Ich kann gar nicht zählen, wie viele Boote von jetzt auf gleich die Newa hinauf schippern. Die allermeisten von ihnen hätten es auch so durch die Brücke geschafft, aber sei’s drum. Ich fühle mich wie an Silvester. Obwohl diese Form von Silvester in Sankt Petersburg fast einen Monat lang stattfindet. Man sagt, während der Weißen Nächte schlafen die Petersburger:innen nicht. Grundloses Feiern bis spät in die Nacht, wochenlang. Sankt Petersburg, du bist eine große Stadt.
Sankt Petersburg Reisebericht: Mein 1 THING TO DO
Was? Eine Weiße Nacht in Sankt Petersburg zu verbringen. Das zugehörige ↠ White Nights Festivals findet übrigens von Ende Mai bis Ende Juli statt, die kürzeste Nacht des Jahres fiel 2018 auf den 21. Juni.
Wo? Überall im Stadtzentrum, am besten rund um die Newa. Bitte beachten: Während der Brückenöffnungszeiten kannst du diese natürlich nicht nutzen, sei also besser vorab auf jener Uferseite, wo du auch übernachten wirst – wenn du überhaupt schlafen möchtest.
Wie viel? Das Erlebnis selbst kostet nichts.
Warum? Um Sankt Petersburg dann kennenzulernen, wenn es nachts nicht mehr zu schlafen zu scheint. Und du vielleicht auch.
Sankt Petersburg Reisebericht: Weitere Sehenswürdigkeiten
Spazieren im Siegespark
Der Park Pobedy auf der Krestowski-Insel ist besonders am Wochenende ein beliebtes Ausflugsziel für Einheimische. Vier Teiche, ein kleiner Kanal und grüne Natur sorgen für eine Auszeit vom städtischen Trubel, sieht man einmal von ebenfalls hier gelegenen Freizeitpark mit allerhand Fahrgeschäften ab. An der Westspitze der Insel kannst du dir außerdem das hochmoderne Fußballstation, Austragungsort der Fußball-WM 2018, anschauen.
Strand in Sankt Petersburg
Sankt Petersburg liegt am östlichen Ende des Finnischen Meerbusens. Deinen Städtetrip zu einem Ostseeurlaub zu machen klappt aber nur, wenn du genügend Zeit mitbringst, um die Stadt auch einmal zu verlassen. Baden gehen kannst du trotzdem: In der Nähe der Metrostation Begowaja gibt es einen kleinen Strand, der nicht unbedingt schön ist, dafür aber ein beliebter Sommertreffpunkt der Einheimischen.
ETAGI: Aussicht über Sankt Petersburg
Sankt Petersburg ist eine Stadt mit glorreicher Geschichte, zugleich kann sie jedoch auch in Sachen “Hipness” mit einigen europäischen Schwestern mithalten. Ein Beispiel hierfür ist das ↠ Loft Project ETAGI, von dessen Dach aus du gegen eine kleine Eintrittsgebühr auch eine gute Aussicht über den Dächern des Zentrums erhaschen kannst. Obendrein gibt es hier wechselnde Ausstellungen, Bars, Restaurants und guten Kaffee. Wobei das Projekt den Höhepunkt seiner Hipness wahrscheinlich schon hinter wieder hinter sich hat.
Fotanka und Golitysn Loft
Eine gute Alternative zum Loft Project ETAGI ist das ↠ Golitsyn Loft, allerdings ohne Aussicht. Der Zufall führte mich während eines Spaziergangs an der Fotanka, einem der Petersburger Kanäle, hierher. Lautes Geplapper schallte aus dem Hinterhof, in dem du insbesondere am Wochenende reichlich junge Leute in Feierlaune vorfinden wirst. Aber wer weiß schon, wie lange? Da scheint Sankt Petersburg etwas mit Berlin gemeinsam zu haben.
Das Video zum Reisebericht aus Sankt Petersburg
Das einstige Leningrad war Abschluss meiner Reise durch Russland. Im zugehörigen Video musst du aber nicht vorspulen, um meinen Sankt-Petersburg-Reisebericht in Ton und bewegten Bildern nachzuempfinden. Die Zarenstadt ist darin nämlich erste Station. Film ab!
Sankt Petersburg kann sich meines nächsten Besuchs sicher sein. Ich möchte die Stadt im Winter kennenlernen, ins Nachtleben eintauchen und auch an den umliegenden Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel am Schloss Peterhof, Station machen. Hoffentlich bald! Übrigens: Viele Reisende nutzen Sankt Petersburg als Startpunkt für ihre Zugreise gen Osten. Wenn auch du mit diesem Gedanken spielst, empfehle ich dir meinen Artikel über die ↠ Transsibirische Eisenbahn.
Reisen um zu reisen!
John & Marc