Reiseziele Osteuropa

Tiflis Reisebericht: Nackidei im Schwefelbad

Wir besuchten den Schildkrötensee und drehten unsere Runden in einem Riesenrad hoch über der Stadt. Am Ende zeigt unser Tiflis-Reisebericht aber, dass Georgiens Hauptstadt dort begeisterte, wo wir uns ganz ungezwungen den Schönheiten des Lebens widmen konnten: beim Essen, beim nochmaligen Essen – und beim Nacktsein im Schwefelbad. Geschrieben von Marc.

Tiflis: Stadt zwischen zwei Kontinenten

Tiflis ist eine Stadt an der Schwelle zwischen Europa und Asien. Das ist mit einem Blick auf die Weltkarte schnell festgestellt. An Ort und Stelle jedoch wird uns genau das erst wirklich bewusst. Zu Füßen der eher unspektakulären ↠ Nariqala-Festung, dem touristischen Hotspot der georgischen Hauptstadt, treffen Reisende aus West- und Osteuropa auf Besucher:innen aus Russland und dem arabischen Raum.

Viele muslimische Familien schlendern entlang der Feigenbaumschlucht, über der farbenfroh lackierte Balkone der Altstadt schweben. Vor dem berühmten Wasserfall wird jedes Familienmitglied einzeln zum Foto gebeten. Es kann dauern, bis andere Reisende die Gelegenheit zum privaten Shooting erhalten. Doch die Legwtachewi-Schlucht ist ein historischer Ort – wer kann es ihnen verübeln? Ohne die schwefelhaltigen Wasserläufe an dieser Stelle wäre Tiflis womöglich einst gar nicht gegründet worden.

Abspannen im Schwefelbad

Tbilisi, wie Tiflis von den Georgiern genannt wird, bedeutet zu Deutsch in etwa “warme Quelle”. Am Rande der Schlucht wird das Schwefelwasser der bis zu 46 Grad warmen Quellen seit Jahrhunderten in Badehäusern genutzt. Nach neunstündiger Fahrt von ↠ Mestia in Oberswanetien bis zum Tifliser Busbahnhof Didube genau das Richtige für uns. Wir entscheiden uns für die günstigste Alternative, das Badehaus ↠ Abano No 5, in dem wir für etwa einen Euro pro Stunde die Hüllen fallen lassen können (Stand: August 2017).

So richtig wissen wir noch nicht, was wir von diesen Badehäusern halten sollen. Schwefel verströmt bekanntermaßen nicht die angenehmsten Gerüche. Auch das unbekümmerte Nacktsein vor Fremden wurde uns nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Doch vielleicht wird das von den georgischen Bademeistern ja nicht allzu streng ausgelegt? Zaghaft legen wir unsere Münzen an der Kasse ab und schleichen mit gesenkten Blicken in die Männer-Umkleide.

Tiflis Reisebericht
Rund um die Jumah-Moschee findest du gleich mehrere Badehäuser, die neben öffentlichen auch private Räume anbieten.
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Die Badehäuser sind erkennbar an den kleinen Kuppeln der historischen Backsteinhäuser.

Schwefelbäder: Nackt in Tiflis

Schnell wird klar, dass wir unsere Badehosen getrost in unserer Unterkunft hätten lassen können. Es gibt getrennte öffentliche Baderäume für Frauen und Männer. Doch zumindest unter den Herren der Schöpfung scheint es ganz und gar nicht gut anzukommen, wenn man auch nur mit dem Gedanken spielt, ein Höschen zu tragen. So richtig wohl ist uns dabei noch nicht. An allen Ecken sprießt es schließlich nur so vor georgischer Männlichkeit.

Die Umkleide verlassen wir noch mit weißem Handtuch vorm Gemächt. Doch im Baderaum wird uns endgültig bewusst, dass Nacktheit hier Pflicht ist. Und dass Schwefel einfach nach Schwefel riecht. Nur langsam fallen die Skrupel, bis beim Wechsel zwischen kalter Dusche – Schwefelgeruch! – und heißem Wasserbecken – Schwefelgeruch! – sowie der winzigen Sauna – Durchatmen! – alles fast ungehemmt vor sich hin schlabbert. Angesichts der bei genauerem Hinsehen scheinbar nicht allzu strengen Hygienerichtlinien fällt es uns irgendwann aber auch gar nicht mehr so schwer, permanent nackt unter eine der Duschen springen zu wollen.

Tiflis Reisebericht
Aus dem Inneren des Abano No 5 haben wir (leider?) keine Aufnahmen. Daher gibt es an dieser Stelle ein wenig Streetart.
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Tiflis ist nicht unbedingt ein Streetart-Hotspot. Bei einem Bummel rund um die Metrostationen Rustaveli und Freiheitsplatz gibt es aber die eine oder andere Feinheit zu entdecken.

Tiflis kulinarisch: Süßes Georgien

Als wir das Badehaus verlassen, haben wir noch Schwefelgeruch am Körper. Kein optimaler Zustand, um in ein Restaurant zu gehen. Wir wollen es trotzdem wagen, lassen unsere muffelnden Glieder jedoch zunächst auf einem Bummel durch die Altstadt von Tiflis belüften. Wir laufen vorbei an kuriosen Eisständen, an denen – laut Aufsteller – typisch georgisches Eis verkauft wird. Dabei werden Früchte, Sahne und eine Soße nach Wahl auf einer Eisplatte platt gedrückt und mit einem Schaber in Rollen geformt. Lecker! Meine Sorte zumindest.

Eine absolute Sünde bietet direkt daneben ein “Baumkuchen”-Stand, der auf unseren Reisen durch Osteuropa bislang nie fehlte. Auch in Tiflis können wir uns nicht lange wehren, zumal die Baumkuchen hier optional im Inneren mit Schokoladencreme bestrichen werden. Lecker! Ohne jede Einschränkung. Wiederum daneben können wir auch zu einem Becher ↠ Kwas nicht Nein sagen, dieser eigentümlichen russischen Brotlimonade. Räudig! Schmeckt hier leider nur halb so gut, wie Schwefel riecht.

In der Altstadt von Tiflis

Rund um die Kote-Abkhazi-Straße zwischen Freiheitsplatz und Nariqala-Festung sollte es im Anschluss eigentlich nicht schwer fallen, unsere Mägen vollends zu füllen. Denn hier pulsiert das touristische Herz der georgischen Kapitale. Leuchtreklamen blinken um die Wette, Imbiss reiht sich an Imbiss. In den Nebenstraßen tummeln sich etliche Restaurants, von denen nur wenige noch Authentizität versprühen.

Uns fällt es trotzdem schwer. Jedoch nicht des mangelnden Angebots wegen, sondern weil uns der Entdeckergeist Mal ums Mal in stillere Gassen abbiegen lässt. Tiflis macht es uns leicht, hinter seine renovierte Oberfläche zu blicken. Schon wenige Schritte abseits der Hauptstraße wächst Wein von brüchigen Mauern, während auf hölzernen Balkonen Wäsche wedelt. Wie so oft gefallen uns die dreckigen Fassaden viel mehr als die herausgeputzten Häuser. Davon hat Tiflis zwischen Standseilbahn und ↠ Friedensbrücke glücklicherweise noch immer mehr als genug zu bieten.

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Nur ein paar Meter weg von der trubeligen Kote-Abkhazi-Straße zeigt sich Tiflis von einer ganz anderen Seite.
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In der Altstadt von Tiflis lohnt auch ein Abstecher in einen der zahlreichen Hinterhöfe.

Tiflis kulinarisch: Der Fluch der Chinkali

Dass alte und neue Zeiten nicht immer in leidigem Widerspruch zueinander stehen, zeigt unser Lieblingslokal in Tiflis, das wir an diesem Abend aufspüren. Das ↠ Pastorali serviert georgische Küche und lässt dabei auch regionale Variationen nicht außen vor. Urig ist hier nichts. Das Menü wird wie selbstverständlich auf Englisch serviert, was im Kaukasus nicht immer selbstverständlich ist. Zwischen Tourist:innen sitzen vereinzelt Einheimische. Doch es schmeckt! Und dafür sind Restaurants schließlich gemacht.

Bereits in Mestia hatten wir uns in ↠ Chinkali verliebt, jene gekochten Teigtaschen in Knoblauchform, die für uns symbolisch für die kulinarischen Genüsse georgischer Küche stehen. Doch Mal ums Mal standen sie zwar auf der Speisekarte, waren jedoch schlussendlich nicht verfügbar. Eine stille Tragik, ein blutroter Faden unserer Kaukasus-Reise. Im ↠ Racha, einem der letzten traditionellen Kellerrestaurants in Tiflis, in dem zwei herrlich derbe Babuschki das Sagen haben, wagte es ein anderer Deutscher gar, uns die letzten Chinkali des Tages vor der Nase wegzuschnappen. Über unserer Teigtaschen-Liebe lag ein Fluch. Der Fluch der Chinkali.

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Zum Pastorali gesellen sich in der Erekle II Street etliche weitere Restaurants, Bars und Cafés.
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Chinkali isst man übrigens mit den Fingern und lässt den “Teigstrunk” eigentlich auf dem Teller liegen. Ist aber gar nicht mal so einfach.

Tiflis Reisebericht: Unser 1 THING TO DO

Im Pastorali werden die Teigtaschen entweder traditionell mit Hackfleisch gefüllt serviert, wahlweise auch mit Käse oder mit Pilzen und Kräutern. Vor allem aber: Hier werden sie serviert! Zuverlässig. Zu jeder Tageszeit. Vielleicht mal mit einstündiger Wartezeit. Doch die lohnt sich. Schließlich gibt es hier genügend weitere Leckereien, die zur Überbrückung dienen – und uns dabei halfen, den Fluch der Chinkali zu überwinden.

Während unserer Kaukasus-Reise machten wir gleich dreimal Station in Tiflis. Jedes Mal hielten wir Einkehr im Pastorali, wahrscheinlich würden wir auch beim nächsten Besuch zurückkehren. Ein Zeichen! Denn so ist unser 1 THING TO DO für Tiflis diesmal kein halsbrecherisches Abenteuer und ebenso keine heimliche Entdeckung abseits jeden Trubels, sondern ein Gaumengenuss in einem außergewöhnlich normalen Touri-Restaurant. Chinkali, ihr entkommt uns nicht.

Tipp: Weitere Eindrücke zu unserem Tiflis-Reisebericht in Bild und Ton bekommst du im Video zu unserer ↠ Kaukasus-Reise, das direkt in der georgischen Kapitale startet. Viel Spaß!

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In Kürze: Unser 1 THING TO DO für Tiflis

Was? Chinkali im Pastorali zu vernaschen! Hinweis: Die Teigtaschen bestellst du in Georgien traditionell im Fünferpack. Wenn du mehrere Sorten probieren möchtest, musst du in aller Regel auch jeweils fünf davon bestellen. Was für uns meist kein Hindernis war.
Wo? Das Pastorali findest du in der Straße Erekle II. zwischen Kote Abkhazi und Friedensbrücke.
Wie viel?
Die günstigsten Chinkali haben wir im Pastorali nicht gegessen, wirklich teuer wird es in Georgien aus mitteleuropäischer Sicht aber ohnehin selten.
Warum? Um in gemütlicher Atmosphäre die georgische Küche zu feiern.

Tiflis Reisebericht
Die Tifliser Reichstagskopie von der Friedensbrücke aus gesehen, die vom West- zum Ostufer der Kura führt.
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Für diese Aussicht über Tiflis lohnt eine Fahrt mit der Nariqala-Seilbahn (nicht zu verwechseln mit den andernorts gelegenen Standseilbahn!) allemal.

Solltest du mehrere Tage zur Verfügung haben, dann solltest du dir die Fortsetzung zu unserem Tiflis-Reisebericht anschauen sein, in der wir einige ↠ Tiflis-Ausflüge zusammengestellt haben. Von Tiflis aus brachen wir übrigens ↠ im Nachtzug in die Hauptstädte der anderen beiden Kaukasus-Länder auf, über die du in unserem ↠ Jerewan-Reisebericht sowie unserem ↠ Baku-Reisebericht mehr erfährst.

Reisen um zu reisen!
John & Marc

Tiflis Reisebericht

Veröffentlicht oder inhaltlich überarbeitet am:


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