Sarajevo Reisebericht

Sarajevo Reisebericht: Die Schöne und das Biest

Auf einer Reise nach Sarajevo liegt eine gewisse Schwere. Schön soll die Stadt sein, aber ihre Geschichte! Ein Biest, das noch lange Zeit in die Gegenwart hinein wirken wird. In unserem Sarajevo-Reisebericht versuchen wir, die Stadt auch von einer anderen Seite zu zeigen, den Fokus aufs Hier und Jetzt zu legen. Ob es beim Versuch bleibt? Geschrieben von Marc.

Schweres Sarajevo

Das Wissen um den Bosnienkrieg in den 1990er Jahren reist auch in unserem Gepäck mit. 1.425 Tage lang belagerte die “Armee der bosnischen Serben” Sarajevo. Für Reisende wie uns nicht greifbar. Auch sind wir ohne Vorstellung davon, welche Rolle der Krieg für die Sarajlije, wie die Einwohner:innen der Balkan-Metropole heißen, heute spielt. Schweigen? Verdrängung? Dialog?

Im Stadtbild sind die Schrecken der Vergangenheit nicht zu übersehen: mit Einschusslöchern übersäte Fassaden, die ↠ Rosen von Sarajevo – Einschläge von Granaten im Asphalt, gefüllt mit rotem Harz, der immer wieder aufgefrischt wird. In der Zmaja od Bosne, Hauptverkehrsstraße westlich der Altstadt, kamen 659 Menschen durch Heckenschützen ums Leben. Natürlich blicken auch wir auf dem Weg vom Busbahnhof ins Zentrum hinauf zu den Dächern der “Sniper Alley”.

Der Bosnienkrieg begegnete uns auch im kulturellen Sarajevo. Die ↠ Galerija 11/05/95 erinnert dem Völkermord von Srebrenica, unter anderem mit einer “Mauer des Todes” mit den Namen aller 8.372 getöteten Menschen, mit Portraits, Fotografien und Filmmaterial. Ein weiteres Museum zeigt ein 20 Meter langes Originalstück des ↠ Fluchttunnels, der während der Belagerung auch zur Versorgung der Stadt beitrug.

Friedhof, Sarajevo
Friedhöfe wie dieser erinnern im Stadtbild Sarajevos an den Bosnienkrieg.
Einschusslöcher, Sarajevo
Einschusslöcher in einer Fassade im Stadtzentrum.

Gewöhnliches Sarajevo

Wir besuchen Sarajevo im September. Der Herbst hält früher als erwartet Einzug. Mit neun Grad jedenfalls hatten wir nicht gerechnet. Und so führt unser erster Ausflug mit einer klapprigen Straßenbahn zu einer Therme am Stadtrand, wo wir uns in einer Sauna aufwärmen. Und ein weiterer in eines der Einkaufszentren am östlichen Ende der Zmaja od Bosne, um uns mit Schal und Mütze auszustatten.

Zwei Banalitäten, die anekdotisch zeigen, dass in Sarajevo nicht nur die Vergangenheit in der Gegenwart mitspielt, sondern eben auch der bloße Alltag. Sarajevo heute, das ist diese gewisse Schwere. Aber nicht nur. In unserem Reisebericht wollen und können wir Sarajevo keine weiteren Kilos aufbürden. Das steht uns nicht zu. Wir wollen und können nur berichten, was wir in kurzer Zeit wahrnehmen.

Sarajevo Reisebericht
Aussicht aus unserem Hostelzimmer nahe der Altstadt von Sarajevo.
Sarajevo Reisebericht
Treppenhaus mit Wäsche: Alltagsszene in Sarajevo.

Ferhadija: Der Boulevard von Sarajevo

Unsere Unterkunft haben wir nahe der Ferhadija-Moschee bezogen. Entlang dem nach ihr benannten “Boulevard” samt seiner Seitenstraßen ist das Zentrum Sarajevos beinahe vergleichbar mit anderen Großstädten des Balkans, ja sogar Mitteleuropas. Hier ein Café, dort ein Restaurant. Allerdings fehlen unter den Läden die meisten der üblich verdächtigen Marken. Am Abend buhlen Pubs um Gäste. Fast schon weht ein Hauch von Biertourismus.

Es ist das gewöhnliche Sarajevo. Wir bestellen uns einen Teller klepe, traditionelle Teigtaschen in einer Saure-Sahne-Soße. Natürlich essen wir ćevapi, die in Bosnien und Herzegowina besonders gut schmecken sollen (tatsächlich aber auch nicht wirklich anders). Und im fast menschenleeren “Wiener Kaffee” des Hotel Europe genehmigen wir uns ein Stück Kuchen samt heißer Schokolade. Geschmacklich beides ebenfalls: gewöhnlich.

Baščaršija: Osmanische Spuren, bosnischer Kaffee

A propos gewöhnlich: Im historischen Zentrum Baščaršija gleich nebenan drehen Trdelnik wie vielerorts in Mittel- und Südosteuropa ihre Runden. Dutzende Tauben bevölkern die Pflastersteine rund um den Sebilj-Brunnen, der der Gewöhnlichkeit nun jedoch Grenzen aufzeigt. Erbaut in heutiger Form zwar bereits unter österreichisch-ungarischer Krone, verweist er wie vieles in der ↠ Baščaršija auf die 400 Jahre, die Sarajevo unter osmanischer Herrschaft stand.

Ebenso wie bosanska kafa: Rund um den Sebilj hast du beste Möglichkeiten, einen bosnischen Kaffee zu trinken. Dieser ähnelt dem türkischen, wird aber traditionell im Kupfertöpfchen gebrüht. Diese kannst du wie vielen weiteren “Krimskrams” in den vielen Souvenirläden ringsum kaufen. Und das macht selbst die Baščaršija fast schon wieder: gewöhnlich.

Vratnik: Aussicht über Sarajevo

Sarajevo breitet sich malerisch in einer Ebene inmitten des Dinarischen Gebirges aus. Bis auf 2.000 Meter steigen die Berge in seiner Umgebung in die Höhe. Bereits die Vororte liegen zum Teil auf 900 Metern. Von der Baščaršija aus unternehmen wir auf beiden Seiten des Flusses Miljacka Abstecher in höher gelegene Gefilde.

Eine beliebte Route führt hinauf zur ↠ Gelben Bastion, von der du ein besonders schönes Panorama auf die Hauptstadt Bosnien und Herzegowinas genießen kannst. Sie ist Teil der noch zu großen Teilen erhaltenen Stadtmauer des sich anschließenden Altstadtviertels Vratnik. Auch Rote und ↠ Weiße Bastion entlang der Stadtmauer bieten Ausblicke auf Sarajevo.

Kovači-Friedhof, Sarajevo
Ein weiterer Friedhof für Opfer des Bosnienkriegs, im Hintergrund die Gelbe Bastion.
Sarajevo Reisebericht
Auch auf der südlichen Uferseite der Miljacka steigen die Gassen teilweise steil empor.

Die Schönste auf dem Balkan

Vratnik zeigt ein anderes Sarajevo als das lebendige, manchmal fast schon touristisch wirkende Zentrum rund um Ferhadija und Baščaršija. Weinreben ranken sich um zumeist einfache, mal ein wenig opulentere osmanische Wohnhäuser. Daneben immer wieder unfertige oder verfallene Fassaden. Schusslöcher. Hier und da blitzen die Minarette kleiner Moscheen empor. Kinder spielen Ball auf Kopfsteinpflaster. Aus den Fenstern dröhnt mal der Fernseher, mal Balkan-Schlager.

Wir laufen bergauf, bergab und immer wieder bergauf, um doch noch eine weitere Gasse mitzunehmen. Laufend neue Ausblicke auf Sarajevo und die umliegenden Berge. In ↠ Vratnik erst kommen wir wirklich in Bosnien und Herzegowina an. Wir atmen durch und realisieren, dass Sarajevo tatsächlich vor allem eines ist: nach Reisen nach ↠ Belgrad, ↠ Skopje, ↠ Sofia und ↠ Tirana die wohl schönste Hauptstadt des Balkans. Mit Leichtigkeit.

In Kürze: Unser 1 THING TO DO für Sarajevo

Was? Durch die Gassen im Viertel Vratnik zu spazieren.
Wo? Vratnik breitet sich nordöstlich der Baščaršija und oberhalb der Gelben Bastion aus.
Wie viel? Ništa.
Wieso? Um dem Alltag von Sarajevo zu begegnen.

Ergänzend zu unserem Sarajevo-Reisebericht haben wir auch auf unserem YouTube-Kanal ein kurzes Video aus Bosnien und Herzegowina hochgeladen. Film ab!

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Im Zug durch Bosnien und Herzegowina

Von Sarajevo aus reisten wir mit dem Zug weiter durch Bosnien und Herzegowina. Dieser erwies sich als zuverlässiges Verkehrsmittel – im Gegensatz zu den Busverbindungen etwa von Mostar in Richtung Maglić, höchster Berg des Landes an der Grenze nach Montenegro. Denn der kam auch nach einstündigem Warten nicht. Bosnien und Herzegowina erscheint uns entsprechend als Land, das du abseits der größeren Städte am flexibelsten im Mietwagen bereist.

Tipp: In einem Artikel über unsere bisherigen ↠ Balkan-Reisen geben wir dir praktische Tipps auch zur Fortbewegung von A nach B mit auf den Weg.

Mostar und Blagaj

Erste Station nach Sarajevo war Mostar, größte Stadt der Herzegowina. Auf dem Weg durchfuhren wir grüne Gebirgslandschaft, die uns bereuen ließ, nicht schon früher ausgestiegen zu sein. Beim nächsten Mal dann. Mostar ist vor allem für die namensgebende ↠ Stari most bekannt, die Alte Brücke. Im 16. Jahrhundert ebenfalls von den Osmanen errichtet, wurde sie im Bosnienkrieg bewusst zerstört und 2004 dank internationaler Hilfe wiederaufgebaut.

Mostar ist pittoresk, aber auch Ziel für Tagestourist:innen aus dem benachbarten Kroatien. Tagsüber entsprechend enges Gedränge in den Gassen beiderseits der Brücke. Auch in den zahlreichen Restaurants herrscht Hochbetrieb. Aus Gründen: Rund um die Brücke kannst du mal mit direktem Blick auf die Alte Brücke, mal auf einem Balkon über der sie durchfließenden Neretva speisen. Kulinarisch enttäuscht waren wir nie, aber auf eines sei gefasst: Fleisch, Fleisch und nochmals Fleisch.

Tipp: Von Mostar aus unternahmen wir einen Ausflug ins nahegelegene ↠ Blagaj – im Taxi, weil sich mal wieder kein Bus auffinden ließ. Mit imposanter Karstquelle und Derwisch-Kloster ein klassisches Ausflugsziel: hin und zurück. Eigentlich. Denn auf dem Hügel oberhalb der Quelle befindet sich eine Burg, die wir auf nicht existentem Weg zu erklimmen versuchten, am Ende aber an ihren stattlichen Mauern scheiterten. Auch hier: Mietwagen oder entlang der Asphaltstraße laufen. Keine Experimente.

Čapljina und Kravica-Wasserfälle

Endstation der Zugstrecke ab Sarajevo ist Čapljina, das ansonsten wohl auch nicht Teil dieses Reiseberichts wäre. Die Adria ist nah, und die Herzegowina zeigt ihr mediterranes Gesicht. Von der Terrasse unserer Unterkunft wuchsen sogar Kiwis! Die Altstadt jedoch ist schnell erkundet und hat Reisenden nicht viel zu bieten. Hier wird gewohnt, nicht gereist.

Ausnahme: Die Kravica-Wasserfälle in der Nähe, die wir natürlich mit dem Taxi bereisten. Weil? Du ahnst es schon: Weil kein Bus fuhr. Richtig gelohnt hat sich der Ausflug nicht: Bei inzwischen hochsommerlichen Temperaturen – wozu haben wir Schal und Mütze gekauft? – sprudelte hier im September nur wenig Wasser. Und dass das Tal keinen Kilometer südlich von einer Autobahnbrücke überquert wird, machte das Ganze nicht unbedingt romantischer.

Čapljina, Bosnien und Herzegowina
Verwaiste Häuserzeile in der Altstadt von Čapljina.
Bosnien und Herzegowina Reisebericht
Unterwegs am Ufer des Flusses Trebižat, der kurz davor knapp 30 Meter in die Tiefe stürzt.

Gradac (Kroatien)

Bosnien und Herzegowina verfügt rund um die Stadt Neum über 20 Kilometer Adriaküste. “Luftlinie” sind es wohl nicht mal die Hälfte. Da uns beiden – zu unserer eigenen Überraschung – mal eben nach richtigem Strandurlaub war, entschieden wir uns, von Čapljina aus nach Gradac in Kroatien aufzubrechen. Natürlich im Taxi. Genau in der Mitte zwischen den Touri-Hochburgen Split und ↠ Dubrovnik gelegen, geht Gradac noch als Geheimtipp durch. Kieselige Strände, glasklares Wasser, stimmungsvolle Sonnenuntergänge: Viel mehr hat Gradac nicht in petto. Aber das brauchte es in unserem Falle auch gar nicht.

Du merkst es vielleicht: Irgendwie war unsere Reise nach Sarajevo und Bosnien und Herzegowina anders, als unsere bisherigen ↠ Balkan-Trips. Und so bleiben Stadt und Land gewissermaßen auch als Unvollendete in Erinnerung. Da wir seitdem mehrfach auf den Balkan zurückkehrten, kannst du dir aber gewiss sein: Wir kehren auch nach Bosnien und Herzegowina zurück. Und lernen dann vielleicht ein anderes Land kennen. In mehrfacher Hinsicht.

Reisen um zu reisen!
John & Marc

Veröffentlicht oder inhaltlich überarbeitet am:


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