Auf unserer Wanderung rund um Juta in Georgien wurde uns buchstäblich ein Hindernis nach dem anderen in den Weg gelegt. Kurz vor dem Ziel hatten wir schließlich endgültig das Gefühl, wir befänden uns in einem lebensechten Jump’n’Run-Spiel. Eine Wanderung bei Kazbegi in acht Leveln. Geschrieben von John & Marc.
Level 1: Fahrt nach Juta, Georgien
Schwierigkeit: einfach
Kurz vor neun Uhr steigen wir gemeinsam mit vier anderen Wanderer:innen in den Wagen der ↠ Mountain Freaks Travel Agency, die im Sommer täglich zwei Fahrten von Kazbegi nach Juta und zurück anbietet (Stand: September 2017). Bis ins Örtchen Sno im Süden von Stepanzminda verläuft die Strecke auf gut ausgebauter Asphaltstraße, die schließlich abrupt endet und auf abenteuerlicher Schotterpiste weiter nach Juta führt.
Es beginnt eine Wackelpartie, die wir glücklicherweise nicht mit gänzlich leerem Magen antreten. Bei Gegenverkehr, der hier zugegebenermaßen nur selten vorzukommen scheint, belassen wir es beim Blick nach vorne und verzichten darauf zu realisieren, dass es rechts von uns steil bergab geht. Doch als sich uns das idyllische Kaukasusdörfchen Juta zeigt, ist jegliches Ruckeln und Raunen vergessen.
Level 2: Mit Kälbern durchs Juta-Tal
Schwierigkeit: einfach
Die ersten Meter von Juta hinauf zum ↠ Campingplatz Zeta haben es in sich. Unsere Köpfe liegen wahlweise noch im Bett oder denken an das unfreiwillige Geschunkel im Auto zurück, während unseren Beinen schon Höchstleistung abverlangt wird. Vorbei an Zeta und ↠ Fifth Season*, einem Guest House in luftiger Höhe, gestaltet sich der Weg jedoch schnell ziemlich urgemütlich.
Respekt verlangt uns auf dem Weg zum Chaukhi-Pass lediglich eine kleine Herde von Kälbern ab, die sich nicht so recht entscheiden können, ob sie uns überholen lassen oder nicht. Und wo zur Hölle sind Mama und Papa? Beobachten sie aus der Ferne, wie wir mit den Kleinen umgehen? Wir schieben unsere Gedanken beiseite und saugen stattdessen die schier unfassbare Schönheit des Juta-Tals auf.
Level 3: Atemnot am Chaukhi-Pass
Schwierigkeit: moderat
Irgendwo muss gleich ein Elf hinter einem Busch hervorspringen. Eventuell zeigt sich auch ein Einhorn auf einer der Klippen. Das Juta-Tal auf dem Weg zum Chaukhi-Pass auf rund 3.300 Metern lädt zum Träumen ein, oder besser: Wir befinden uns mitten in einem Traum voller saftig grüner Wiesen, verwunschener Gebirgsbächlein und weißer Schneefelder an den schroffen Nordhängen der Riesen im Kazbegi-Nationalpark.
Nach etwa zweieinhalb Stunden ist es mit der Idylle vorbei. Ging es bislang kaum merklich bergauf – und wenn, dann gleich wieder bergab – so gilt es nun nach unserem Abenteuer am ↠ Chalaadi-Gletscher bei Mestia ein weiteres Mal die 3.000 Meter zu knacken. Das grüne Paradies lassen wir hinter bzw. unter uns. Das Atmen fällt mit jedem Schritt schwerer. Wir lassen es langsam angehen, bewegen uns im Schneckentempo und kämpfen ein weiteres Mal mit bröseligem Hochgebirgsboden. Bloß nicht überanstrengen.
Level 4: Im Flusslauf zum Arkhoti-Tal
Schwierigkeit: moderat
Halbzeit. Auf dem Chaukhi-Pass angekommen, verbleiben noch vier Stunden, um durch das Arkhoti-Tal zurück nach Juta zu kommen. Unser Fahrer, so wurde uns vor Abfahrt am Morgen gesagt, wartet maximal fünf Minuten. Dann ist Schicht im Schacht. Wir liegen gut in der Zeit, doch allzu viel Abenteuer sollte nicht geschehen, um nicht in einem der Gasthäuser in Juta übernachten zu müssen. Nun ja.
Denn wo ist eigentlich der Weg zurück? Trotz großer Zweifel entschließen wir uns, mit Blick auf die 4.000er entlang der Grenze zu Russland ein trockenes Flussbett hinab zu wandern. Denselben Weg zurück nehmen, den wir gekommen sind? Nicht mit uns. Wäre aber besser gewesen: Das Flussbett wird erst zum Rinnsal, dann zum Bächlein, später zum rauschenden Gebirgsbach. Und dann passiert schließlich, was eher nach Trickfilm klingt: Unser flüssiger Wanderweg wird zum Wasserfall. Nichts geht mehr. Links und rechts hohe Klippen. Wir sitzen in der Falle. Nur noch drei Stunden bis Abfahrt.
Level 5: Klettern im Kazbegi-Nationalpark
Schwierigkeit: anspruchsvoll
Der Rückweg durchs Flussbett war derart steil, dass der Weg zurück zum Chaukhi-Pass keine sinnvolle Alternative darstellt. Wir kraxeln die Klippen entlang des Gebirgsbachs hinauf und verschaffen uns einen Überblick. Das klingt rational, doch eigentlich liegen die Nerven blank. Wir schreien uns kurz an. Rechts vom Wasserfall? Ein weiterer steil abfallender Wasserlauf? Links davon? Dasselbe Bild! Vor lauter Ratlosigkeit bemerken wir nicht einmal, in welch atemberaubender Kulisse wir uns befinden.
Ich laufe zu einem Abhang, um einen Weg hinab ins Arkhoti-Tal auszuspähen. Wenn mich hier jemand sehen würde! Es gibt da eine Möglichkeit, die wie alles andere als ein Wanderweg ausschaut. Doch sie erscheint mir machbar. An einem Hang halten wir uns auf gut 100 Metern Strecke am knorrigen Gebüsch fest, um nicht abzurutschen. Dieselbe Taktik wenden wir auf dem Weg nach unten an, der jedoch abermals von einem Rinnsal erschwert wird, das den Boden aufweicht und uns Mal ums Mal ins Rutschen bringt. Unten angekommen, gilt es eine Art Gletscherbrücke zu überqueren, die über den Arkhoti führt. Noch zwei Stunden.
Level 6: Flussüberquerung
Schwierigkeit: anspruchsvoll
Es beginnt die finale Phase. Wir haben es ins Arkhoti-Tal geschafft, doch ein Wanderweg ist noch immer nicht erreicht. Am Flussufer entlang schlagen wir uns im hohen Gras immer weiter in Richtung Juta durch. Wie schon zuvor in luftiger Höhe hat so ein imaginärer Weg am Fluss allerdings seine Tücken. Immer wieder müssen wir die Uferseite wechseln und dabei den wild dahin rauschenden Arkhoti samt Eiswasser überqueren.
Idealerweise fänden wir eine Stelle, auf der wir über die Felsen im Fluss zur anderen Seite hüpfen können. Doch alle Suche nützt nichts: Wir ziehen unsere qualmenden Wanderschuhe und -socken aus und watscheln ungelenk durchs Wasser hinüber auf die andere Seite. Die Felsen im Wasser sind rutschig. Wir geraten ins Taumeln und sind froh über jede Sekunde, die unsere Füße nicht länger im eisigen Arkhoti verbringen müssen. Das Prozedere wiederholt sich dreimal – und frisst unnötig Zeit. Noch eine Stunde.
Level 7: Das Brennnesselfeld
Schwierigkeit: moderat
Nachdem wir bereits mehrfach barfuß die Uferseite wechseln mussten, haben wir langsam das Gefühl, dass uns hier irgendjemand ganz, ganz böse Streiche spielt – und permanent der Meinung ist, uns unnötig Steine in den Weg legen zu müssen. Oder eben ein ganzes Feld voller meterhoher Brennnesseln.
Doch in der Zwischenzeit haben wir vollends in den Ranger-Modus geschaltet. Wir haben bereits etliche Kratzer an unseren Knien und Waden, da machen so ein paar Brennnesselstiche nichts mehr aus. Die Bremsen um uns herum übrigens auch nicht. Und so treten wir in aller Ruhe die Monsterpflanzen nieder und gelangen beinahe schadlos durchs Gestrüpp. Bis John bis über die Knöchel hinaus im Schlamm versinkt. Muss ja. Noch drei Kilometer bis nach Juta. Noch 30 Minuten.
Level 8: Showdown zurück nach Juta
Schwierigkeit: anspruchsvoll
Eine Minute pro hundert Meter? Klingt machbar, hätten wir keine eine siebenstündige Wanderung hinter uns – mit Hürden, die wir so noch nie nehmen mussten. Minütlich checke ich auf Google Maps, wie wir in der Zeit liegen. Irgendwie schaffen wir es, trotz einer weiteren Flussüberquerung – barfuß natürlich – in der Zeit zu bleiben. Und wenn wir doch mal eine Minute verlieren, rennen wir kurz.
Noch zehn Minuten, aber auf den letzten Metern vor Juta geht es noch einmal kurz bergauf. Nicht gerade das, was sich unsere Glieder gerade wünschen. Doch wir wollen in dieses verfluchte Auto und uns auf der Schotterpiste zurück nach Kazbegi die letzten Stückchen Kraft und Verstand aus der Birne schaukeln lassen. Wir schaffen es.
17 Uhr. Wir sind die letzten am Auto und steigen in den Wagen, als wäre alles komplett nach Plan verlaufen. Was die anderen wohl erlebt haben? Unseren “Weg” sind sie jedenfalls entlang gewandert. Falls das überhaupt schon irgendwer jemals getan hat – oder jemals wieder tun wird.
In Kürze: Unser 1 THING TO DO für Kazbegi
Was? Einen Ausflug von Kazbegi nach Juta zu unternehmen. Denn Wasserfall und Brennnesselfeld hin oder her: Die Täler rund um Juta gehören zu dem schönsten, was Georgien uns zu zeigen hatte.
Wo? Juta befindet sich südöstlich von Stepanzminda und ist nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Plätze im Shuttle der Mountain Freaks kannst du entweder direkt bei der Travel Agency oder im Tourist Office in der Nähe des Ortszentrums erwerben.
Wie viel? Der Preis für die Hin- und Rückfahrt mit den Mountains Freaks beträgt 25 GEL (Stand: September 2017). Wenn du dir mehr Zeit in Juta und Umgebung lassen möchtest, solltest du eine Übernachtung vor Ort einplanen.
Warum? Um zu verstehen, was Ursprünglichkeit und Natur bedeuten – und was den wilden Kaukasus von den zivilisierten Alpen unterscheidet.
Weitere Wanderungen in Georgien
Wenn dich das Wanderfieber nun endgültig gepackt hat, findest du hier eine Übersicht auf all unsere kleinen und großen Gipfelstürme im georgischen Kaukasus:
- In Mestia, der größten Stadt in Oberswanetien, unternahmen wir eine Tageswanderung ins abgelegene Kaukasus-Dörfchen ↠ Tsvirmi.
- Ebenfalls in Mestia machten wir uns auf den Weg zu den Koruldi-Seen auf 2.700 Metern Höhe. Von dort aus ging es für uns zum ersten Mal über die Schwelle von 3.000 Metern – zum ↠ Chalaadi-Gletscher am Fuße von Mount Ushba.
- Ungemütlich und vor allem nass ging es auf unserer Wanderung rund um ↠ Kazbegi bzw. Stepanzminda zu in Richtung Gergeti-Gletscher zu.
Die Wanderung bei Juta ist unser vorerst letzter Wanderbericht aus dem Kaukasus. Tipp: Unser Abenteuer rund um Juta im Kazbegi-Nationalpark kannst du streckenweise auch im YouTube-Video zu unserer ↠ Kaukasus-Reise nachverfolgen.
Reisen um zu reisen!
John & Marc
10 Antworten zu “Juta: Wenn der Wanderweg zum Wasserfall wird”
Hallo John und Marc,
ich plane eine Woche Wandern im Kaukasus für den Mai 2019, ist das von der Jahreszeit schon okay?
Ich habe irgendwo gelesen, dass der Frühling im südlichen Kaukasus besonders schön sei.
Beste Grüße
Dietrich
Hallo Dietrich,
das klingt gut, da werden wir direkt neidisch. 🙂
Über den südlichen Kaukasus können wir leider nichts berichten. Auch waren wir selbst natürlich im August bzw. September unterwegs, wo der meiste Schnee weggeschmolzen war. Im Mai liegt sehr wahrscheinlich auf einigen Routen noch Schnee und du wirst von uns beschriebene Strecken anders bzw. besser nicht erleben, schlichtweg weil die Wege nicht passierbar sind – oder eben nur mit entsprechender Ausrüstung.
Wir würden dir trotzdem nicht vom Mai abraten: Es gibt in Mestia, aber auch in Kazbegi/Juta und bestimmt auch im südlichen Kaukasus genügend Möglichkeiten zu Talwanderungen, wo entsprechend kein Schnee mehr liegt. Aus unserer Erfahrung im nördlichen Kaukasus (Georgien) ist letztlich das Schönste, von den Giganten umgeben zu sein. Dafür braucht es nicht zwingend Wanderungen auf über 3.000 Metern. Obendrein ist die Natur im Mai sicherlich noch satter und bunter.
Liebe Grüße
John & Marc
Hallo ihr zwei,
ein guter Freund und ich reisen nächste Woche nach Georgien und hoffen auf einige Wanderabenteuer. Wir sind uns noch etwas unsicher bezüglich der Ausrüstung. Macht es Sinn mal einen Schlafsack und Isomatte einzupacken oder wird man eigentlich immer gut versorgt. Wir werden Gasthäuser und private Unterkünfte Hostels und BnB definitiv vorziehen.
Danke für die ganzen tollen Routen, das hilft unserer spontanen Planung ungemein!
Beste Grüße
Philip
Hallo Philip,
danke für Kommentar und Kompliment. ☺️
Wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir die Frage richtig verstehen, aber wir versuchen‘s mal. Wir jedenfalls hatten Schlafsack und Isomatte nicht dabei, da wir lediglich Tageswanderungen unternahmen und abends in Gasthäusern unterkamen, die allesamt (für georgische Verhältnisse) gut ausgestattet waren. Bei den gängigen mehrtägigen Wanderungen wandert man in der Regel ja auch von Ort zu Ort und findet dort dann immer ein Guest House oder eine sonstige Unterkunft.
Wenn du noch Fragen hast, immer her damit!
Liebe Grüße
John & Marc
Oh wow, Georgien muss ja unglaublich sein. Der Kaukasus und vor allem Georgien sind schon lange ein Traum von mir. Eure Bilder und Eindrücke stecken mich mit Reisefieber an!
Wir können Georgien allerwärmstens empfehlen! 🙂
wunderbarer Bericht mit herrlichen Fotos – danke!
Vielen lieben Dank! 🙂
Sagenhaft!
Das trifft es gut! 😀 Liebe Grüße!