Amsterdam Reisebericht

Amsterdam Reisebericht: Mehr als Grachten, Sex und Cannabis

Amsterdam, du bist so schön! Ewig schön! Und doch zeigt unser Amsterdam-Reisebericht, dass wir irgendwann ein wenig zu viel von deiner Schönheit hatten. Inmitten deiner pittoresken Grachtenhäuser sehnten wir uns nach deiner unvollkommenen Seite. Haben wir sie gefunden? Geschrieben von John & Marc.

Satt von Amsterdam

Ein bisschen hatten wir uns satt gesehen. Das Zentrum von Amsterdam ist bekanntlich von Wasserstraßen geprägt, die den berühmten Grachtengürtel bilden. 165 Grachten ziehen sich in einem Halbkreis südlich um den Amsterdamer Hauptbahnhof. 80 Brücken überqueren die Kanäle, an denen sich die charakteristischen schmalen Backsteinhäuser aneinander reihen.

Die Grachtenhäuser zeichnen sich vor allem durch ihre recht eigentümliche Bauweise aus. Diese kam einst dadurch zustande, dass die Einwohner:innen im Amsterdam des 17. Jahrhunderts ihre Steuern gemäß der Breite ihrer Häuser zu entrichten hatten. So entstanden allen voran schmale, dafür aber hochgebaute Häuser entlang der Grachten. Denn jeder Zentimeter mehr in der Breite bedeutete mehr Abgaben.

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Die berühmten schmalen Backsteinhäuser im Grachtengürtel von Amsterdam.

Grachtengürtel: Ganz schön schief

Außerdem fiel uns immer wieder auf, dass einige der Häuschen ganz schön schief umher standen. Das hat vor allem zwei Gründe: Zum einen war das Gebiet des heutigen Amsterdams einst Sumpflandschaft. Die Grachtenhäuser wurden auf Holzpfählen gebaut, die über die Jahrhunderte ihre Stabilität verloren. Zum anderen bieten die schmalen Häuser keinen Platz für breite Treppenaufgänge. Daher wurden sie leicht nach vorn kippend errichtet, um Möbel einfacher durch die großen Fenster heben zu können.

Aufgrund dieser Besonderheiten ist wohl jedes der Grachtenhäuser in gewisser Weise ein Unikat für sich. Genauso wie die Stadt, in der sie sich befinden. Und doch hatten wir schon nach knapp zwei Tagen das Gefühl, im Grachtengürtel jeden Winkel erkundet zu haben.

Vom Käsemuseum ins Rotlichtviertel

Wir sind durch “De 9 Straatjes” geschlendert, einem Kiez aus neun Parallelstraßen mit vielen süßen Cafés und noch mehr kleinen Boutiquen und Geschäften. Wir sind die Prinsengracht hoch- und runtergelaufen, vorbei an Anne-Frank-Haus und Westerkerk, gesättigt von einigen Kostproben aus dem nahe gelegenen ↠ Käsemuseum.

Wir sind kreuz und quer durchs Rotlichtviertel marschiert, vorbei an den berüchtigten Prostituierten in ihren Schaufenstern, vorbei an unzähligen Coffeeshops und ihren Gästen mit den müden, kleinen Augen. Wir sind nicht nur einmal im ↠ Old Sailor Pub gestrandet, weil dieser gefühlt ständig auf dem Weg lag (und es dort neben uriger Atmosphäre auch bezahlbares, leckeres Bier aus Amsterdam gab).

Wir sind aber auch wieder und wieder in kleinen Cafés gelandet, mit dem immer gleichen Blick auf Grachtenhäuser, bunte Boote, und – allen voran im Süden des Grachtengürtels – auch auf die normale Amsterdamer Stadtbevölkerung. Und doch sind wir hier auf keinen Moment gestoßen, den wir als 1 THING TO DO bezeichnen können.

Amsterdam-Reisebericht: Ohne 1 THING TO DO?

Amsterdam ist sogar für all jene, die langsam reisen, ohne stur ihre To-Do-Liste abzuklappern, schnell erkundet. Wir konnten selbst kaum fassen, wie schnell wir den Grachtengürtel abgelaufen hatten. Doch umso mehr sich die Bilder um die Grachten glichen, desto mehr reizte uns auch das Amsterdam abseits von Grachtenhäusern, Frittenbuden und Cannabis-Schwaden.

Trotz allen Müßiggangs sollten sich auch hierfür einige Gelegenheiten eröffnen. Von unserem Abstecher nach Zandvoort etwa berichteten wir bereits, einem Badeort mit breitem Nordseestrand, den man ab Amsterdam Centraal oder Sloterdijk in nur einer halben Stunde per Zug erreicht.

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Die Kuppel der Ronde Lutherse Kerk bringt etwas Abwechslung ins Grachtenbild von Amsterdam.

NDSM-Werf: Individueller Einheitsbrei

Nur etwa zehn Minuten dagegen braucht die (kostenlose!) Fähre zur ehemaligen ↠ NDSM-Werf, die direkt vor dem Hauptbahnhof ablegt. Die nicht mehr genutzten Hallen am Ufer des Ij verwandeln sich sonntags in einen riesigen Flohmarkt, auf dem allerhand Krimskrams und Kramskrims erstanden werden kann.

Wer hier jedoch auch ein wenig Streetfood erwartet (wie wir), wird enttäuscht. Es gab – welch Wunder – lediglich Fritten. An diesen können sich die Amsterdamer:innen erstaunlicherweise noch immer erfreuen. Außerdem im Angebot waren die süßen Poffertjes, mit denen wir uns allerdings schon im Hotel die Plauze vollgeschlagen hatten. Die NDSM-Werf ein 1 THING TO DO? Für uns zumindest nicht.

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In den Ij-Hallen der NDSM-Werf findet jeden Sonntag ein großer Flohmarkt statt, angeblich gar der größte Europas.
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Eine der Hallen ziert dieses bunte Wandplakat. Schick!

Schmutziges Amsterdam

Doch Moment! Noch ein weiteres Mal machten wir uns auf, den Grachtengürtel zu verlassen. Nachdem wir mal wieder ein wenig Koffein in einem der gemütlichen Cafés entlang der Wasserstraßen zu uns nahmen, spazierten wir vorbei am kolossalen Gebäude des Rijks Museums in Richtung Südosten von Amsterdam.

Nach all den herausgeputzten Grachtenhäusern inmitten einer so schönen wie scheinbar perfekten Wunderwelt waren wir beinahe positiv überrascht, als die Stadt sich unseren verwöhnten Augen auch einmal von ihrer schmuddeligen Seite zeigte. Und damit meinen wir nicht die Schaufenster im Rotlichtviertel.

Amsterdam Reisebericht
Etwas “Dirrty” für unseren Amsterdam Reisebericht. Finally!

Albert-Cuyp-Markt: Verdächtiges Gemurmel

Plötzlich überquerten wir einen dreckigen Kanal (welch Augenweide!) und schlenderten durch die unspektakulären Straßen eines Wohngebiets im Viertel De Pijp, in denen wir uns tatsächlich vorstellen konnten, dass hier ganz “normale” Menschen wohnen. Im Falle der Grachten denkt man schließlich noch immer eher an ein gut betuchtes, spießbürgerliches Klientel. Und an Airbnb-Tourist:innen, die vielleicht gerne dazu gehören würden.

Nur wenige hundert Meter weiter vernahmen wir schließlich immer lauter ein Gemurmel, das sich mit jedem weiteren Schritt als Geräuschkulisse des Albert-Cuyp-Markts entpuppte. Es waren seine Verkäufer:innen, die ihre immer gleichen Angebote lautstark in die Amsterdamer Straßen hinausschreien. Es waren seine Besucher:innen, die sich hier über Gott und die Welt unterhalten, um den billigsten Preis feilschen – oder den Plunder dann doch lieber erst gar nicht kaufen.

Albert Cuyp Markt
Gut besucht, sehr wahrscheinlich auch aufgrund seines fantastischen Handtaschenangebots: Der Albert-Cuyp-Markt.
Albert Cuyp Markt
Die Fahne mit den drei Kreuzen ist im Übrigen die Flagge Amsterdams.

Ein unvollkommenes 1 THING TO DO für Amsterdam

“De Cuyp”, wie ihn die Amsterdamer:innen nennen, ist der größte Tagesmarkt der holländischen Grachtenstadt, auf der offiziellen ↠ Webseite wird er gar als größter Markt Europas angepriesen. Orientalische Gewürze neben holländischen Fritten (Überraschung!). Köstliche Saté-Spieße neben quietschbunten Hausschuhen in Holzschuhoptik. Vintage-Mäntel neben hässlichen Plastikperücken. Holländisch neben Deutsch, Englisch neben Arabisch. Auf “De Cuyp”, so scheint es, ist die ganze Welt zu Hause.

Es ist ein ganz anderes Amsterdam, das sich uns hier präsentierte. Es scheint nicht mehr und nicht weniger weltoffen als der Rest der Stadt. Es ist nicht schöner als der Grachtengürtel – keinesfalls sogar. Und doch blieb uns der Albert-Cuyp-Markt als Gegenstück zu den pittoresken Grachtenhäusern, aber auch zu den touristischen Vergnügungsmeilen, ganz besonders in Erinnerung. Und zwar als unser 1 THING TO DO für Amsterdam. Mit all seiner Banalität. Mit all seiner Imperfektion. Mit all seiner Unvollkommenheit.

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Auf dem Albert-Cuyp-Markt gibt es nicht nur alles, was das gesunde Haar nicht braucht…
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… sondern etwa auch orientalische Gewürze, um den bunten Mix perfekt zu machen.

Amsterdam-Reisebericht: Unser 1 THING TO DO

Was? Über den Albert-Cuyp-Markt zu bummeln (und zwischen durch immer mal wieder etwas zu naschen).
Wo? In der Albert-Cuyp-Straat im Stadtteil De Pijp im Südwesten des Grachtengürtels. Tram-Stationen: Albert-Cuyp-Straat oder Ceintuurbaan/Van Woustraat.
Wie viel? Grundsätzlich kostenlos. Ein Imbiss zwischendurch kostet je nach Stand ungefähr zwischen vier und sechs Euro (Stand: Februar 2016). Bei Textilien und Co. ist Feilschen angesagt.
Warum? Um Amsterdam auch von seiner unvollkommenen und nicht minder schönen Seite kennen zu lernen.

Unser Amsterdam-Reisebericht ist längst nicht das Ende der Fahnenstange unserer Berichterstattung aus der niederländischen Grachtenstadt. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Ausflug an die Nordseeküste? In ↠ Zandvoort entdeckten wir sogar noch ein weiteres winterliches 1 THING TO DO. Und wenn es dir die Benelux-Staaten angetan haben, ist auch unser 1 THING TO DO für ↠ Brüssel im Winter nicht allzu weit.

Reisen um zu reisen!
John & Marc

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Veröffentlicht oder inhaltlich überarbeitet am:


27 Antworten zu “Amsterdam Reisebericht: Mehr als Grachten, Sex und Cannabis”

  1. Hi!
    Toller Bericht, und generell ganz tolle Seite! Ich bin eigentlich auf der Suche nach Tipps für die kurische Nehrung auf euren Blog gestossen, und nun total hängen geblieben. Super finde ich auf eurer “über uns” Seite im Abschnitt Zwischen den Zeilen den ersten Punkt. Kommt mir SOWAS VON bekannt vor! 😉 Jedenfalls wollte ich noch von unserem 1 Thing To Do in Amsterdam berichten, das allerdings nicht in Amsterdam stattgefunden hatten. Es war ein Ausflug mit dem Bus nach Volendam, wo wir eine Fahrradvermietungsbude gesucht und nicht gefunden haben. Dann sind wir irgendwie ziellos durch irgendwelche Industriegebiete geirrt, haben nochmals einen Bus genommen und schlussendlich in Edam eine versteckte Fahrradvermietung in einem Wohnhauskeller gefunden… ;o) Jedenfalls sind wir dann richtung Norden dem Markenmeer entlang geradelt und haben nichts als Wiesen, Schafe und Höfe gesehen. Und genau dieses “nichts” habe ich so unheimlich genossen! Nicht einmal das Meer haben wir gesehen, dafür mussten wir erstmal über einen Wall klettern. Dieser Ausflug ist mir so perfekt in Erinnerung geblieben! So, und nun werde ich weiter durch euren Blog stöbern und mich noch ein wenig für zukünftige Reisen inspirieren lassen.
    Alles Gute euch!

    • Danke für das positive Feedback, Melanie! Das liest man doch gerne. 😀

      Dein 1 THING TO DO klingt super! Wir haben ja schon auf unserem Ausflug nach Zandvoort gemerkt, dass es in der Umgebung einiges zu entdecken gibt. Schon die Zugfahrt nach Zandvoort hat einige tolle kleinere Städte gezeigt. Man könnte wohl Monate in der Region verbringen und sich immer wieder neu verlieben.

      Liebe Grüße
      John & Marc

    • Hallo Sabine! Leider haben wir keinen ultra-coolen Geheimtipp. Der Grachtengürtel ist auf jeden Fall ziemlich teuer und bietet nicht allzu viele Alternativen. Wir haben ein paar Meter entfernt vom Bahnhof Sloterdijk im Urban Lodge Hotel übernachtet und können es durchaus empfehlen. Man ist mit der Bahn schnell am Hauptbahnhof (und auch in anderen niederländischen Städten wie Zandvoort oder Rotterdam) und in andere Ecken Amsterdams fahren ab Sloterdijk einige Busse und Straßenbahnen.

  2. Ich bin kommende Woche mit meinem Freund das erste Mal in Amsterdam. Unter anderem wird es einen Besuch beim Keukenhof geben. Ich bin schon gespannt, welche Eindrücke ich von der Stadt bekommen werden. Toller Beitrag. Lg Nici

    • Wir hoffen, ihr habt oder hattet eine wunderbare Zeit da drüben! 🙂 Berichtet gerne von eurem 1 THING TO DO, falls es eines gab. Liebe Grüße! 🙂

  3. Wenn ich euren Artikel so lese, dann möchte ich auch gern mal wieder nach Amsterdam reisen! 🙂 Zandvoort fand ich auch total schön und ist auch absolut einen Abstecher wert.

    Liebe Grüße aus Hong Kong,
    Kaja

    • Die Verbindung einer Amsterdam-Reise mit Zandvoort liegt wirklich auf der Hand. Man ist fix dort und sieht Holland direkt noch einmal von einer ganz anderer Seite, auch wenn Zandvoort zugegebenermaßen natürlich schon ziemlich touristisch ist.

      Liebe Grüße nach Hong Kong!

    • Immer zu, Amsterdam ist auf jeden Fall eine Reise wert! Selbst wenn man nur wenig Zeit zur Verfügung haben sollte…

  4. Hi,
    mein 1 Thing to do in Amsterdam ist : Fahrradfahren. Wie die Amsterdamer.
    Am schönsten war bei unserem Amsterdam Besuch eine Fahrradtour, kombiniert mit einer Fährfahrt in das kleine pittoreske Örtchen Marken. Durch Wiesen und auf dem Deich entlang. Entschleunigung pur.

    Moin, Marianne
    alleinereisenjetzt.wordpress.com

    • Das können wir uns sehr gut vorstellen. Wobei es da natürlich auch die Fußgänger-Perspektive gibt: Man muss schon akzeptieren, dass die Fahrradfahrer in Amsterdam eine Stufe höher stehen, um als Fußgänger nicht allzu gefährlich zu Leben. 🙂

  5. Dank euch wieder für den klasse Beitrag. Renate und ich mögen Amsterdam auch verdammt gerne. Allerdings ist es der Wahnsinn, wenn du aus dem Bahnhof raus kommst. Da herrscht ein solches Durcheinander von Radlern, Bussen, Tram, Taxis, sonstigen Verkehrsmitteln und Fußgängern, dass man seine sieben Sinne voll zusammennehmen muss, um nicht irgendwo unter die “Räder” zu kommen. Habt ihr mal einen Spacecake probiert? Wir Alten schon, aber außer, dass uns ein wenig Schwindlig war ist nichts gewesen!

  6. In solchen “Touristenstädten” ist es echt schwer, die Orte hinter der “Postkartenidylle” zu finden und nicht allseits bekannte Klischees zu bedienen. Ist euch mal wieder super gelungen! Liebe Grüße von Andrea

    • Vielen Dank! Na klar, auf dieser stillen Mission sind wir nicht so leicht unterzukriegen. 🙂

      Schöne Grüße!

  7. Immer wieder diese Frage: Was wäre diese Welt, wenn es keine schmuddeligen Ecken mehr gäbe? Also mehr Eleganz, Design, Bewusstsein für Geschichte. Ich will meinen: schöner – und hab doch meine Zweifel…

    Danke für euer 1 Thing To Do!

    • super post, macht richtig lust auf amsterdam! bin immer schon gespannt auf weitere interessante beiträge von euch…

    • Es braucht wohl definitiv das Hässliche, um das Schöne zu erkennen. Schöner Gedanke! Dazu kommt aber noch, dass das Schmuddelige nicht für jeden gleich schmuddelig ist, genauso wie das Schöne nicht für jeden schön. 🙂

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