Krakau Reisebericht: Polens heimliche Hauptstadt
Unser Krakau Reisebericht steht unter dem Motto: Wiedersehen macht Freude! Bereits 2011 zog mich Krakau an einem bestimmten Ort fest in seinen Bann – das 1 THING TO DO für die Rückkehr schien fast schon beschlossene Sache. Am Ende steht in unserem Krakau Reisebericht ein gänzlich anderer Moment im Fokus, der sich klammheimlich außerhalb des Stadtzentrums versteckt. Geschrieben von Marc.
Eierstock auf Polnisch
„Jaaaajnik!“ – „Jaaaaaaaajnik!“ – „Jaaaaaaaaaaajnik!“, rief Jakub lautstark vom Balkon in die Wohnung unseres Gastgebers hinein, stets begleitet vom aufgeregten „Psssst!“ seiner Freunde. Diese fürchteten sich bereits vor dem Klingeln der spießigen Nachbarin, denn allzu nächtlich-jugendlicher Trubel taugt dieser gar nicht. Bei Raclette und jeder Menge Alkohol wollte Jakub derweil nur seinen Kumpel Jannik ärgern, indem er ihm statt mit richtigem Vornamen mit dem polnischen Wort jajnik – zu Deutsch „Eierstock“ – herbei rief.
Sicherlich ein skurriler Einstieg in unseren Krakau Reisebericht, doch es war der perfekt-skurrile Start in unsere Reise: Per Couchsurfing hatte John unseren Gastgeber kontaktiert, der uns schließlich in seiner schicken Wohnung außerhalb des Krakauer Stadtzentrums begrüßte. Bei unserer Ankunft um kurz nach Mitternacht waren wir plötzlich mittendrin in einem ausgelassenen Abend mit seinen Freunden, die uns sofort herzlich in Empfang nahmen.
Krakau Reisebericht: Altstadt und Wawel
Unser Krakau Reisebericht führt uns am folgenden Tag in die Altstadt Stare Miasto der 700.000-Einwohner Metropole. Die Straßenzüge rund um den Hauptplatz Rynek Główny sind das Aushängeschild der Stadt und entsprechend herausgeputzt, was John und mir als als Freunde bröckelnder Fassaden jedoch wenig imponierte. Genauso wenig übrigens die Burg Wawel am Weichselufer, die, früher Sitz der polnischen Könige, an diesem Samstag allerdings auch von Touristenmassen übervölkert wurde.
Mein persönliches Highlight von 2011 sollte von hier aus nicht mehr weit sein: Das Jüdische Viertel Kazimierz versprühte damals ein ganz eigenes Flair, das mich sofort angekommen fühlen ließ und Krakau an nur einem Abend zu einer meiner Lieblingsstädte in Europa machte.
Exkurs: Kazimierz in Krakau
Kazimierz (deutsche Aussprache etwa „Ka-schi-miäsch“) war einst eine eigenständige Stadt südlich von Krakau. Nach Pogromen gegen die Krakauer Juden wurden diese Ende des 15. Jahrhunderts nach Kazimierz umgesiedelt. Nachdem die Ortschaft 1800 Teil des großen Krakau wurde, stellten Juden in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bis zu einem Drittel aller Einwohner.
Nach der Besatzung durch die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg wurde die jüdische Bevölkerung im Krakauer Ghetto auf der anderen Seite der Weichsel konzentriert und anschließend direkt vor Ort umgebracht oder in die umliegenden Konzentrationslager deportiert. Nach dem Krieg entwickelte sich Kazimierz zu einem der verrufensten Bezirke Krakaus.
Krakau: Streetart und Zapiekanki
Letzteres ist zwar noch heute spürbar, wenn man durch die Gassen von Kazimierz schlendert oder wie wir in einem der Cafés am hippen Plac Nowy einen Snack zu sich nimmt. Spätestens nachdem Steven Spielberg hier aber einen Großteil des Historiendramas „Schindlers Liste“ verfilmte, hat sich der Bezirk zu einer Art Szeneviertel entwickelt, ohne jedoch seinen Charme bereits wieder verloren zu haben.
Farbig restaurierte Fassaden wechseln sich mit verfallenen Häuserwänden und einer gehörigen Portion Street Art ab. Gerade am Abend treffen sich hier sowohl Krakauer als auch Besucher, um in einer der zahlreichen Bars oder Restaurants den Tag ausklingen zu lassen. Auch John und mich verschlug es nach dem Spaziergang mit unseren Gastgebern gen Abend noch einmal hierher: Zwei der Krakau-typischen XXL-Zapiekanki – eine Art belegte Baguettes – mit einer gehörigen Portion Kebabfleisch und reichlich Mayo bildeten die erste größere Herausforderung unseres Balkan-Trips von Krakau nach Thessaloníki.
Kopiec Krakusa: Krakau von oben
Ehrlich gesagt: Kazimierz wäre im Nachhinein ein geradezu verdächtig offensichtliches 1 THING TO DO gewesen. Polens (angeblich) heimliche Hauptstadt hatte während unseres Besuch jedoch noch zwei Heimlichkeiten in petto, von denen sich eine das Prädikat 1 THING TO DO schlussendlich redlich verdienen sollte.
Noch vor der Zapiekanki-Challenge spazierten wir mit unseren Gastgebern auf den Kopiec Krakusa südlich der Weichsel. Dieser 271 Meter hohe Hügel offenbart nicht nur eine wunderbare Aussicht auf das Krakauer Stadtzentrum, sondern auch auf einen mittlerweile begrünten Steinbruch direkt nebenan, der unsere Neugier wecken sollte.
Schindlers Liste: Abenteuer Filmkulisse
Die beiden erklärten uns, dass dieser Steinbruch als Kulisse des im weltberühmten Film „Schindlers Liste“ dargestellten Arbeitslagers diente. Sie selbst seien jedoch noch nie da unten gewesen, schließlich sei das Gelände auch eingezäunt. Und die steilen Felsklippen rundherum versprechen in der Tat nicht unbedingt einen gemütlichen Spaziergang dahin.
Denkste! Als unsere Begleiter sich aufgrund des feuchtfröhlichen Vorabends müde nach Hause begaben, entdeckten wir zufällig einen schmalen Pfad hinunter, der nicht einmal abgesperrt war. Unten angekommen bewegten wir uns auf künstlichen Grabsteinen mit hebräischen Schriftzeichen und ziemlich mulmigem Gefühl über das Gelände samt Baracken und verrosteten Metalltürmen der früheren Fabrik.
Schon aus Pietätsgründen war uns beiden schnell klar, dass dies keinesfalls unser 1 THING TO DO sein könnte. Reichlich fremd kamen uns bereits im Stadtzentrum die Touristentaxis vor, die nacheinander Altstadt, Wawel und das Krakauer „Ghetto“ abklappern, als sei letzteres eine Sehenswürdigkeit wie jede andere auch. Die Kulisse eines Arbeitslagers als touristisches Highlight zu definieren, liegt uns entsprechend fern. Doch das Stichwort Steinbruch kommt unserer nächsten Krakauer Heimlichkeit und damit auch unserem 1 THING TO DO schon ziemlich nahe.
Krakau Reisebericht: So viel Heimlichkeit
Unser 1 THING TO DO in Krakau sollten wir erst am zweiten Tag entdecken: Schaut man sich die Stadt auf einer Karte an, fällt das Auge schnell auf den riesigen Landschaftspark Bielany-Tyniec. Nicht jede Metropole verfügt schließlich über ein so großes Naturschutzgebiet in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums.
Gerade einmal zwei Kilometer von Kazimierz entfernt liegt dort ein See namens Zakrzówek (zu Deutsch etwa „Sack-schu-weck“), der mich bei Google Maps sofort anlachte. Da wir am ersten Tag in Krakau quasi die gesamte Innenstadt abgegrast hatten, ließen wir uns von unseren Gastgebern den genauen Weg dahin erklären. Am nächsten morgen hieß es dann ohne große Erwartungen: „Nischt wie raus“ nach Zakrzówek-See.
Zakrzówek: Paradies in der Ödnis
An der Straßenbahnhaltestelle angekommen fiel neben dem dortigen Kaufland zunächst einmal eines auf: staubige Ödnis. Hier sollte sich ein See befinden? Irgendwann stießen wir dann auf einen verrosteten Maschendrahtzaun, und durch ein größeres Loch begaben wir uns auf einem wohl schon lange nicht mehr begangenen Schleichweg durch trockenes Gestrüpp.
Je weiter wir liefen, desto häufiger schimmerte dann aber ein immer kräftiger werdendes Blau durch die Sträucher. Als wir schließlich die erste Lichtung erreichten, hatten wir urplötzlich ein türkisblaues Paradies zu unseren Füßen. Und das mitten in einer Großstadt wie Krakau!
Zakrzówek: Krakaus blaue Oase
Hier bewegt sich unser Krakau Reisebericht seinem Höhepunkt zu. Auch der Zakrzówek entstand aus einem alten Steinbruch. Im Zweiten Weltkrieg fungierte er als Arbeitslager, in dem auch Papst Johannes Paul II. zum Dienst antreten musste. Heute dient der geflutete Steinbruch den Krakauern als willkommene Abkühlung an heißen Sommertagen.
An den steilen Klippen trafen wir immer wieder auf Sonnenanbeter, die eine Auszeit vom Trubel der Stadt nahmen. Ein kleines Strandbad kann man hier nur im Besitz eines ominösen Schlüssels betreten. Wer auch ohne Schlüssel einen Sprung ins kühle Nass wagen will, nimmt dieses Vorhaben also entweder von einer der Steilklippen aus in Angriff, oder muss ein Stück entlang des Ufers weiterlaufen, um schließlich einen geeigneten Abstieg hinab zum Wasser zu finden.
Naherholung in Reinkultur
Hat man irgendwann seinen persönlichen, „heimlichen“ Platz in Krakaus blauer Oase gefunden, sind all diese Anstrengungen wie weggeblasen. Das farbige Zusammenspiel des beinahe karibisch anmutenden Wassers, der im Sonnenlicht strahlenden weißen Steilklippen sowie der über unseren Köpfen an den tiefblauen Himmel stoßenden Bäume vermittelte eher den Eindruck eines abgelegenen Bergsees, denn eines ehemaligen Steinbruchs im Naherholungsgebiet einer Großstadt.
Wer einmal in absoluter Stille vor dieser Kulisse seine Runden geschwommen hat, weiß, was Entspannung bedeutet. Selbst als mit Badeseen verwöhnte Berliner mussten wir eingestehen, dass der Zakrzówek unsere Zeit in Krakau rund machte – und uns auf seine Art genügend Erholung für unsere nächste Station mit auf den Weg gab: die Besteigung des höchsten Berg Polens beim Wandern in der Hohen Tatra.
Krakau Reisebericht: Unser 1 THING TO DO
Was? Ein Ausflug zum See Zakrzówek.
Wo? Der Zakrzówek liegt circa zwei Kilometer entfernt vom Krakauer Stadtzentrum nahe der Tramhaltestelle Norymberska. Entlang der Straße Wyłom führen mehrere Schleichwege zum See.
Wie viel? Kein Eintritt, fällig wird nur die Anreise per Straßenbahn (40-Minuten-Ticket ab Stadtzentrum).
Warum? Spazieren in traumhafter Naturkulisse, Baden im kühlen Nass, ein Picknick an der Steilklippe. Es gibt außerdem die Möglichkeit, von einem kleinen Tauchzentrum aus den See unterhalb der Wasseroberfläche zu erkunden.
Hast du Lust auf weitere Reisegeschichten von 1 THING TO DO? Dann schau doch mal in unseren Reiseberichten vorbei. Weitere Geheimnisse aus dem Osten des Kontinents präsentiert dir außerdem unser Projekt #GoEast, in dem wir dir weitere Reiseziele in Osteuropa vorstellen. Mit dabei ist auch unser Erfahrungsbericht aus dem Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau ganz in der Nähe von Krakau.
Reisen um zu reisen!
John & Marc
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Luise
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Den See werden wir uns nicht entgehen lassen, obwohl wir nur einen Tag in Krakau haben.
Liebe Grüße Luise
1 THING TO DO
Bei Sommerwetter ein schönes Ausflugsziel, wir hoffen noch immer. ☺️
Liebe Grüße auch von uns!
lighthouselizzy
Ein ganz anderes Krakau als ich gesehen habe – spannend geschrieben! …und endlich weiss ich, wie Kazimierz ausgesprochen wird… 🙂
1 THING TO DO
Na das freut uns doch, wenn man bei uns sogar ein bisschen was dazu lernt. 🙂 Liebe Grüße!
Paleica
hört sich nach einem ganz tollen 1 thing to do an. der see sieht wirklich traumhaft aus!
goldeneslichtimzimmer
Übrigens: Krakow ist ja nicht nur die „heimliche Hauptstadt“, wie ihr schreibt, sondern war es bis 1596 ja tatsächlich…
1 THING TO DO
Stimmt, danke für die Ergänzung! 🙂
Violettinia
Ich habe eben gerade einen Beitrag über den Amur, den Amazonas Russlands, gesehen und war total überrascht, wie wunderschön die Landschaft dort ist. Der Osten kann wirklich schön sein. Aber vielleicht fange ich erstmal mit Polen an! In dem Sinne, toller Beitrag.
1 THING TO DO
Danke dir! Wir überlegen auch schon, nächstes Jahr noch einmal ein Stück weiter im Osten von Warschau nach Istanbul zu reisen. Aber es gibt ja so viel zu sehen auf der Welt… mal sehen, wo wir am Ende landen. 🙂
Violettinia
Oh ja!!! Die Welt ist groß und es gibt viel zu entdecken. Lass uns reisen. 🙂
Anni
Nehmt ihr mich bitte nächstes Mal mit? 😀
leiselaut
Sieht und hört sich wirklich wie ein Traumplatz an!
1 THING TO DO
Das war es! Und wirklich nicht allzu weit draußen – mit der Straßenbahn ist man schnell dort.
M.W.
Wundervoller Beitrag, der gleich Lust auf Krakau macht. Vor allem Deinen empathischen Schreibstil solltest Du Dir behalten. Ganz liebe Grüße!
1 THING TO DO
Vielen, lieben Dank! 🙂 Das mit dem Schreibstil freut mich natürlich besonders. Liebe Grüße!