Kirgisistan ist Wanderland! An seinen Grenzen knacken mehrere Gipfel die 7.000 Meter, darunter der Pik Lenin. Beim Wandern im Süden Kirgisistans bekam ich diesen rund um den Bergsee Tulparköl nur kurz zu Gesicht – und konnte doch nicht genug von ihm bekommen. Wie Wandern in Kirgisistan mir ein viel zu seltenes Gefühl bescherte: volle Zufriedenheit. Geschrieben von Marc.
Auf Eseln zum Pamir-Gebirge
Deutsche trifft man bekanntlich fast überall auf der Welt. Eine Gruppe deutscher Backpacker, die auf Eseln einem 7.000er entgegen reiten, ist mir bis dato jedoch noch nicht vor die Nase gekommen. Ich begegne ihnen beim Wandern im Süden Kirgisistans zwischen ↠ Sary Mogul und Tulparköl, einem Bergsee auf etwa 3.500 Metern Höhe.
Inmitten karger kirgisischer Steppenlandschaft legen sie gerade ein Pause ein. Sie wirken ziemlich geschafft. Die Sonne brennt, auf den geschwächten Eseln scheinen sie bislang kaum vorwärts gekommen zu sein. Die 22 Kilometer zwischen Sary Mogul und Tulparköl klingen wenig verlockend. Vermutlich deswegen ziehen sie Hufe der Esel ihren eigenen Beinen vor. Als ich sie einhole, bin ich froh darüber, die Strecke zu wandern.
Wandern in Kirgisistan: Vom Gefühl der Freiheit
Etwa einen Kilometer später wiederum holen sie mich ein. Nach der Rast sind ihre Esel wieder zu Kräften gekommen. Nach ungefähr der Hälfte der Distanz ist es ihnen obendrein scheinbar gelungen, die Anweisungen ihres Guides in die Tat umzusetzen. Die Esel sprinten im Galopp. Verglichen mit Pferden ist das Tempo freilich noch immer langsam. Doch sie kommen voran.
Ob ich die Truppe noch einmal wiedersehen werde? Auf der Offline-Karte sehe ich, dass die Piste zum Tulparköl von nun an einen kleinen Umweg nimmt und entschließe mich, den direkten Weg zu wandern. Querfeldein. Hindernisse sind nicht in Sicht. Keinerlei Dickicht, in dem ich mich verheddern und verlaufen könnte. Weit und breit kein Fluss, keine Schlucht, die es zu überwinden gilt. Nur ich und die kirgisische Steppe. Das Nichts. Ich wandere durch die Freiheit und nehme sie mir.
Wanderung von Sary Mogul zum Tulparköl
Die Begegnung mit den strapazierten Eseln und ihren Reitern sollte nicht meine einzige tierische am Fuße des Pamir sein. Jenem Gebirgszug, der entlang der kirgisisch-tadschikischen Grenze verläuft und direkt vor mir auf 7.134 Meter aufsteigt. Das ↠ Basislager zur Wanderung auf den Pik Lenin liegt unweit des Tulparköl. Auf dem Weg höre ich immer wieder ein schrilles Pfeifen, dessen Ursprung ich noch nicht so recht zu deuten weiß. Bis ich mitten drin bin im Gewusel.
Etwa 15 Kilometer lang wanderte ich bislang kaum spürbar bergauf. Nun jedoch erhebt sich vor mir eine Kette sanfter Hügel, die freilich allesamt bereits über 3.000 Meter hoch sind. Höhe ist beim Wandern in Kirgisistan relativ. Der Aufstieg lässt mich schwerer atmen, ist kurz und schmerzhaft. Oben angekommen ertönt abermals dieses zaghafte, und doch so hektische Fiepen. Im Augenwinkel meine ich gesehen zu haben, wie kurz darauf irgendetwas zappelte und im Erdboden verschwand.
Wandern zwischen Murmeltieren
Zwischen den Hügeln breiten sich bereits erste Appetithappen auf das aus, was ich am Tulparköl erwarte. Es sind kleine Seen, mal glasklar, mal schlammig, an deren Ufern ich entlang wandere. Hügel um Hügel, See um See auf dem Weg zum Ziel meiner Wanderung in Kirgisistan. Dazwischen immer wieder dieses Pfeifen, das ungefähr so schief klingt, wie Fingernägel auf einer Kreidetafel.
Als ich einen der letzten Hügel zum Tulparköl erwandere, hat die Ursache des Geräuschs schließlich keine Chance mehr, sich zu verstecken. Es sind Murmeltiere, die sich scheinbar gegenseitig warnen. Vor mir, dem Eindringling. Nur um kurz darauf in Windeseile in ihren Erdlöchern zu verschwinden. Nun, da ich weiß, wie sie aussehen, werde ich auf dem weiteren Weg noch Dutzende von ihnen erblicken – und ungewollt in die Flucht schlagen.
Eine tierische Wanderung in Kirgisistan
Kurz vor Ankunft am Tulparköl ereilt mich bald darauf das nächste tierische Erlebnis. Über einem Hang kreisen etliche Greifvögel. Es müssen 20, 30 oder gar mehr sein, von denen einige immer wieder hinter der Klippe verschwinden, um ein paar Sekunden später wieder aus der Deckung zu kommen. Ihr anmutiger Flügelschlag flößt Respekt ein, wirkt mitunter bedrohlich. Doch es sind Momente wie diese, die meine Wanderung hier im Süden Kirgisistans zur schönsten machen, die ich in Zentralasien bislang unternahm.
Das liegt natürlich auch an der Landschaft, die sich nun deutlich vielseitiger zeigt. Pik Lenin hat sich inzwischen hinter dichten Wolken versteckt, die den Anschein machen, sich zu einem Unwetter zusammenzubrauen. Das Schneeweiß seiner Hänge lässt dennoch erahnen, wie gigantisch dieser Gigant wirklich ist. Zu meiner Linken ragt über grün gelber Steppe ein ziegelroter Gipfel in die Höhe. Zu meiner Rechten fallen hinter welligen Hügeln schroffe, dunkelgraue Hänge hinab, durchsetzt von Schnee, der selbst im August aussieht, als wäre es gerade erst gefallen.
Ankunft am Tulparköl
Und dann ist da natürlich das Türkis des Tulparköl, den ich nach gut fünf Stunden Wandern in Kirgisistan endlich erreiche, der das Farbspektrum am Fuße des Pamir um eine weitere Facette bereichert. Yaks grasen am Ufer und überqueren Mal ums Mal die Piste, auf der ich weiter in Richtung Basislager wandere. Vorbei an zwei Jurtencamps, die der Szenerie das letzte Fünkchen Einzigartigkeit geben. Es ist der Ort, an dem Kirgisistan meiner Reise das i-Tüpfelchen aufsetzt.
Das Ziel meiner Wanderung habe ich erreicht. Doch genug habe ich noch nicht. Ich möchte Pik Lenin noch ein wenig näher kommen. Wenn ich schon einmal da bin! Spätestens seit unserem Abenteuer in der ↠ Hohen Tatra lösen Berge eine ganz eigene Faszination auf mich aus. Ein 7.000er natürlich ganz besonders. Es war ein Traum, hier am Fuße von Pik Lenin auf Wanderschaft zu gehen. Ich lebe ihn gerne noch ein wenig länger.
Wandern am Fuße des Pik Lenin
Anstatt auf dem Weg nach Süden in Richtung Basislager abzubiegen, wandere ich geradeaus weiter, die tiefe Schlucht des Atschiktasch zu meiner Rechten. Nach einem heftigen Anstieg, auf dem ich einen steil bergab fallenden Gebirgsbach überquere und Mal ums Mal ins Rutschen komme, laufe ich ohne Ziel Pik Lenin entgegen, sauge die Landschaft, die Farben, die Eindrücke einfach auf.
Mit inzwischen 25 Kilometern in den Beinen und unterwegs auf mehr als 3.600 Metern Höhe, merke ich jedoch schnell, dass mich meine Wanderung heute nicht viel weiter führen wird. An einigen Stellen wird der Weg bedrohlich eng und führt gefährlich nahe am Abhang entlang. Teilweise führen mehrere, schmalste Wege übereinander weiter nach Süden. Ich entscheide mich jeweils für den am höchsten gelegenen, um etwas Puffer zu haben für den Fall der Fälle.
Stolz und Zufriedenheit
Ich könnte ewig weiter wandern. Doch gleichzeitig realisiere ich, dass diese Wanderung in Kirgisistan keiner weiteren Ziele bedarf. Ist der Weg das Ziel? Es klingt nicht nur abgedroschen, sondern trifft das Erlebnis obendrein nicht wirklich auf den Punkt. Weg und Ziel sind nicht die Dimensionen, um das in Worte zu fassen, was mich gerade durchströmt: Zufriedenheit.
Nach einer letzten Rast laufe ich zurück zum Tulparköl, noch einmal vorbei an den steilen Abhängen, die mir das Gefühl vermitteln, dass ein falscher Schritt zu viel sein könnte. Bis mich plötzlich ein anderer Wanderer anspricht. Auf Deutsch. Es ist einer der jungen Männer, die auf dem Esel von Sary Mogul zum Tulparköl geritten sind. “Respekt!”, sagt er angesichts der Tatsache, dass ich die Strecke zu Fuß absolviert habe. Stolz steigt in mir auf, der jedoch nicht lange anhalten soll. Der Rückweg nach Sary Mogul wird dafür sorgen, dass mein Hochgefühl vernünftig durcheinander gewirbelt wird. Schade drum.
In Kürze: Mein 1 THING TO DO für Sary Mogul, Kirgisistan
Was? Eine Wanderung von Sary Mogul zum Bergsee Tulparköl.
Wo? Der Tulparköl liegt etwa 22 Kilometer von Sary Mogul entfernt, vis à vis mit Pik Lenin an der Grenze zu Tadschikistan. Auf dem Weg überwindest du knapp 600 Höhenmeter. Sary Mogul verlässt du zunächst über eine der beiden Brücken, die den gleichnamigen Fluss im Westen des Weilers überqueren. Eine weitere Brücke führt dich über den Kysylsu, dessen Tal du in Richtung Süden verlässt. Von hier aus führen mehrere Pisten in Richtung Tulparköl. Versuche dabei so gut wie möglich geradeaus zu wandern. Zur Orientierung empfehle ich die App ↠ MAPS.ME. Die Wanderung bis zum Tulparköl ist einfach, geht aufgrund der schieren Distanz aber in die Beine.
Wie viel? An sich natürlich kostenfrei. Alternativ kannst du dich auch von Sary Mogul zum Tulparköl fahren lassen (umgerechnet circa 13 Euro pro Strecke) – oder du reitest. Zur Organisation richtest du dich am besten an deinen Gastgeber in Sary Mogul. Am Tulparköl gibt es außerdem mehrere ↠ Jurtencamps*, in denen du übernachten kannst, um beispielsweise am nächsten Tag zu weiteren Wanderungen im Süden Kirgisistans anzusetzen. Über die Jurtencamps kannst du auch einen Transfer zurück nach Sary Mogul organisieren. Wenn es nicht zu spät am Nachmittag ist, kannst du auch versuchen nach Sary Mogul zu trampen.
Warum? Um eine der für mich schönsten Landschaften Kirgisistans ganz langsam für dich zu entdecken.
Wandern in Kirgisistan: Das Video zum Reisebericht
Einige der im Artikel beschriebenen Reisemomente beim Wandern in Kirgisistan kannst du auch im Video zur Reise nacherleben:
Vom tragischen Rückweg meiner Wanderung im Süden Kirgisistans habe ich übrigens bereits auf ↠ Reisedepeschen berichtet. Viele weitere Informationen zu meiner Reise nach Zentralasien, darunter Angaben zur Route sowie Tipps für deine Reiseplanung, findest du im zugehörigen ↠ Kirgisistan-Reisebericht.
Reisen um zu reisen!
John & Marc