Belgrad Reisebericht

Belgrad Reisebericht: After Hour im Fischerdorf

Nach der pompösen Metropole Budapest verließen wir die Europäische Union und peilten nun das als weniger glorreiche bekannte Belgrad an. Unser Belgrad-Reisebericht zeigt eine Stadt, die sich neu erfinden zu scheint – zwischen Folklore und wildem Nachtleben, mit gutem Essen für wenig Geld und dem typischen Balkan-Gefühl. Geschrieben von John.

Willkommen auf dem Balkan

Erstaunlicherweise lautete die Antwort „Ganz gut!“, als Marc mich danach fragte, wie ich denn geschlafen hätte, kurz nachdem ich vom allgemeinen Gewusel der anderen Fahrgäste erwachte. Denn unser Belgrad-Reisebericht beginnt um kurz nach sechs Uhr morgens: Im Licht der ersten warmen Sonnenstrahlen des Tages überquerten wir in Schrittgeschwindigkeit eine alte Brücke, die uns den Weg über die Save ebnete.

Mit absoluter Pünktlichkeit erreichte der ↠ Nachtzug aus Budapest die serbische Hauptstadt Belgrad. Während wir beim Einfahren in den Bahnhof unsere Köpfe aus den Fenstern lehnten, wurde uns beim ersten Begutachten nun bewusst: Jetzt sind wir auf dem Balkan. Und zwar an einem Ort, den uns ein anderer Fahrgast in unserem Alter zuvor als “wilde Stadt” anpries. Wir waren entsprechend gespannt, welche Geschichten auf uns warteten.

Belgrad Reisebericht
Auftakt für unseren Belgrad-Reisebericht: Mit dem Nachzug waren wir zuvor am späten Abend in Budapest aufgebrochen.

Belgrad am Morgen

Београд (Beograd) stand in großen, kyrillischen Buchstaben über der Wartehalle geschrieben. Im Vergleich zu ↠ Budapest glich der Bahnhof von Belgrad eher dem einer Provinzstadt als dem einer waschechten Metropole. Erster Anlaufpunkt nach Abgabe unserer Rucksäcke war auch dieses Mal wieder ein berühmtes Fast-Food-Restaurant amerikanischen Ursprungs. Dort nutzten wir das kostenlose Wi-Fi zur Suche einer Unterkunft.

Da wir bis zum Check-in noch einige Stunden Zeit überbrücken mussten, liefen wir ganz Marc-und-John-like erst mal planlos durch die Stadt. Den frühen Morgenstunden geschuldet, hatten wir beispielsweise das im Vergleich zu Budapest nicht gerade schön in Szene gesetzte Donauufer fast für uns allein. Auch das sogenannte Bohème-Viertel Skardarlija – eigentlich eine Straße – sowie die Festung ↠ Kalemegdan waren zu dieser Zeit noch kaum besucht.

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Aussicht von der Festung Kalemegdan über die Save hinüber nach Novi Beograd.

Novi Beograd: Endstation Block 33

Bis zum Check-in um 14 Uhr liefen wir weiter durch die Altstadt, bevor wir Novi Beograd, also “Neu-Belgrad”, ins Visier unserer Entdeckungstour nahmen. Die Save via Straßenbahn passiert, begann unser Ausflug dort am Palata Srbije, dem Serbischen Palast und Sitz der serbischen Regierung.

Novi Beograd ist eine riesige sozialistische Planstadt. Derart künstlich, dass die Bushaltestellen nicht mal richtige Namen haben, sondern nach den einzelnen Blöcken benannt sind, wie zum Beispiel Block 7 oder Block 33. “Belgrad ist die hässlichste Stadt am schönsten Ort der Welt”, soll Le Corbusier 1919 einmal gesagt haben. Novi Beograd hat es damals freilich noch gar nicht gegeben. Man könnte vermuten, dass der Architekt bei seiner Einschätzung bleiben würde.

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Der Serbische Palast Palata Srbije ist Sitz der serbischen Regierung.

Genex-Turm: Kein schöner Anblick

Bei sengender Hitze peilten wir den Genex-Turm an. Er ist das brachiale Wahrzeichen von Novi Beograd: 115 Meter hoch, überragt der Wolkenkratzer die Plattenbauten der umliegenden Wohnblöcke. Während der Südturm dieses Bunker-Raumschiffes überwiegend Büros beherbergt, besteht der Nordturm aus Wohnungen. Auf Höhe des 26. Stockwerks sind beide Türme über eine Luftbrücke verbunden.

Am Genex-Turm angekommen, stellten wir schnell fest, dass sowohl das Gebäude als auch der Vorplatz schon lange keine Orte von Prestige mehr waren. Sein Verfall ist gewissermaßen symptomatisch für die Stilrichtung des ↠ Brutalismus. Nach seiner Blütezeit in den 50er und 60er Jahren werden seine Bauten heute – salopp gesagt – häufig als weder alt noch schön genug betrachtet, um geschützt zu werden.

Genex-Turm: Kein schöner Ausblick

Was für die einen hässlich sein mag, löst bei uns für gewöhnlich große Faszination aus. Im Südturm wurden wir vom Portier allerdings schnell wieder abgewiesen. Im Nordturm hingegen stand uns die Eingangstür weit offen. Spontan fuhren wir bis in den 14. Stock mit dem Fahrstuhl und liefen dann die restlichen 14 Etagen zu Fuß. Der wackelige Lift war uns doch ein wenig zu viel des Abenteuers. Einen grandiosen Ausblick über Belgrad suchten wir durch das kleine Bullauge zwar vergebens, aber hey: Wir waren oben.

Übrigens: International bekannt wurde der Genex-Turm im Video ↠ Netzwerk von Klangkarussell, das einige waghalsige Perspektiven über die serbische Hauptstadt Belgrad bietet.

Skadarlija: Von wegen Bohème

Nach dem lang ersehnten Check-in und einem kurzem Nickerchen ging es dann erneut nach Skardarlija. Inspiriert von anderen Reiseberichten aus Belgrad, erhofften wir uns im sogenannten “Bohème-Viertel” ein wenig Altstadt-Romantik und deftig serbische Küche. Schnell lernten wir, dass Belgrad Ersteres nicht wirklich liegt – diese furchtbar lauten Musikanten! –, Zweiteres dafür ziemlich schwer im Magen. Zumindest wenn du wie wir Ćevapčići mit einer Extraportion Kajmak bestellst. Viel fetter geht nicht.

Den anschließenden Sonnenuntergang verbrachten wir auf der Festung Kalemegdan, die zu später Stunde sowohl von Reisenden als auch Einheimischen gut besucht war. Von einem grünen Hügel aus genossen wir den Ausblick über die funkelnden Lichter der Stadt sowie unser so lala schmeckendes serbisches Bier.

Tipp: Nicht weit von Skadarlija kannst du deutlich besser ins Nachtleben von Belgrad starten als mit Folklore, nämlich rund um die ↠ Blaznavac Bar. In einem hinterhofartigen Areal reiht sich hier Bar and Bar, deren Musikauswahl sich permanent überlappt. Das ist allerdings nicht weiter schlimm, da das Geplapper ohnehin alles übertönt und du nach dem dritten Drink auch gar nicht mehr so genau hinhörst. Auch auf der Festung Kalemegdan finden regelmäßig Partys statt. Neben kleineren Gigs und Veranstaltungen gehört dazu vor allem auch das ↠ Kalemegdan Summer Festival.

Nachtleben in Belgrad: Party an der Save

Belgrad ist einer der kulturellen Hotspots in Südosteuropa. Das gilt auch für sein Nachtleben. Für ein Partywochenende an Save und Donau sollen sogar Leute aus Istanbul anreisen. Auch an diesem Freitagabend schien von überall her Musik zu ertönen, als wäre Belgrad ein riesiges Open-Air-Gelände. Und so ließen uns mit dem Taxi für wenige Euro auf die gegenüberliegende “grüne Lunge” Ušće fahren, um dort eines der unzähligen Club-Boote zu besuchen.

Am Ufer der Save liegen dicht an dicht gut zwei Dutzend Boote in verschiedensten Größen, wobei jedes dank individuellem Design und Musikgenres von Balkan-Musik bis Hiphop sein ganz eigenes Publikum anzieht. Zu unserer Überraschung mussten wir feststellen, dass es sich vor um halb zwei überhaupt nicht lohnte eines dieser Boote aufzusuchen. Grundsätzlich für uns als Berliner nichts Besonderes, doch als Reisende ungewöhnlich – beginnen die Parties in anderen Großstädten doch gerne schon um neun oder zehn.

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Die wenig attraktiven Belgrader “Party-Boote” am Tag.

Unterwegs in Savamala

Letztlich fühlten wir uns trotzdem fehl am Platz. In Berlin vollkommen normal mit Jogginghose und Sneakers feiern zu gehen, begegneten uns hier vor allem Typen mit Hemd und Lackschuhen – Hand in Hand mit Frauen mit Abendkleid und Clutch.

Aus diesem Grund chillten wir uns nur kurz mit dem üblichen Bier ans Ufer und entschieden uns, noch einmal die Save zu überqueren und auf der anderen Seite unser Glück zu probieren, was im Stadtteil ↠ Savamala, dem Belgrader In-Bezirk der vergangenen Jahre, auch ganz gut gelang. In einer Mischung aus Open-Air-Bar und -Club – Name nicht mehr auffindbar – erklangen endlich die erwünschten elektronischen Beats. Vor allem aber schien sich hier niemand um Tanz- oder Kleidungsstil zu scheren.

Tipp: Unserem Gastgeber auf unserer zweiten Reise nach Belgrad zufolge steigen im Drugstore einige der angesagtesten Partys in Belgrad. Laut ihm immer eine gute Wahl – allerdings Stand 2016. Wir entschieden uns letztlich jedoch für das ↠ KC Grad und können daher leider nicht von unseren Erfahrungen berichten. Beim nächsten Besuch werden wir garantiert vorbeischauen! Auf der Suche nach aktuellen Partys im Nachtleben in Belgrad hilft auch ein Blick auf ↠ STILL IN BELGRADE. Auch auf ↠ Resident Advisor findest du in der Regel eine gute Auswahl an Partys in Belgrad.

Zemun: Belgrads alter Rivale

Am nächsten Tag war unser Ziel der historische Stadtteil Zemun, gelegen an den Ufern von Donau und Save im Nordwesten Belgrads. Seit 1934 gehört Zemun zum Stadtgebiet von Belgrad. Zuvor waren beide eigenständige Städte und – aufgrund ihrer Nähe zueinander – für lange Zeit auch Rivalen. Übrigens entstammt auch einer der bekanntesten Clans der serbischen Mafia dem beschaulichen Belgrader Stadtteil.

Zemun, das sind vor allem verfallene Fassaden, die vielerorts trotzdem herausgeputzt werden. Auf dem Markt am Veliki Trg deckt sich besonders die ältere Bevölkerung mit frischem Obst und Gemüse ein. Schicker geht es am Donauufer zu, wo du dir eine fangfrische Portion Fisch in einigen der Fischrestaurants vor dem Mahl selbst aussuchen kannst.

Meditation am Donauufer

Es war genau diese Beschaulichkeit, die wir uns nach durchzechter Nacht in Zemun erhofft hatten. Und so spazierten wir noch ein wenig weiter, bis wir die Dunavska zum Donauufer hinabliefen – und uns urplötzlich in einem anderen Jahrzehnt, in einer anderen Stadt, in einer anderen Welt wiederfanden. Umgeben vom grünen Uferstreifen und mit Blick auf die blaue Donau, ließen wir uns in einer Fischerkneipe nieder, in der selbst das Bestellen zweier Gläser Cola (!) zur kommunikativen Herausforderung wurde.

Aus der Idee, nur mal eben was zu trinken, wurde nichts: Wir saßen fest, ausgelaugt von Nacht und Hitze. Und so saßen wir und saßen wir und saßen wir, bis wir eine Art Meditationszustand erreichten. Eigentlich die perfekte After Hour! Auf der Donau wogen bunte Fischerbötchen im seichten Wellengang hin und her. Wir konzentrierten uns hier im gefühlten Nichts darauf, die Schwäne auf der Donau übergeduldig von rechts nach links treiben zu sehen. Abgerundet vom hypnotischen Gebabbel der serbischen Sportberichterstattung im antiken Fernsehkasten hinter uns. Wie wir aus diesem Zustand erwachen konnten, werden wir wohl nie erfahren. Doch es war dies der Moment, in dem wir Belgrad zum ersten Mal in unsere Herzen schlossen.

In Kürze: Unser 1 THING TO DO in Belgrad

Was? Nach durchzechter Nacht in einer Fischerkneipe am Donauufer versacken.
Wo? In Zemun, einem Fischerdorf im Nordwesten Belgrads. Die Straße Dunavska führt hinab zur Donau, eine Treppe nach rechts unten zur besagten Fischerkneipe.
Wie viel? Natürlich je nachdem, was du bestellst. Zwei Glas Cola kosten circa 1,50 Euro.
Warum? Weil sich dorthin ganz sicher keine anderen Reisenden hin verlaufen – und du mit deinem Kater alleine bleibst.

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2016 verschlug es uns übrigens ein zweites Mal nach Belgrad, wo wir mit unserem Gastgeber Petar ein Lokal auf den grünen Hügeln rund um die serbische Hauptstadt besuchten.
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Auf unserer zweiten Reise nach Belgrad besuchten wir auch die idyllische Save-Halbinsel Ada Ciganlija, auf der sich mit Blick auf etliche Hausboote wunderbar spazieren lässt.

Damit findet unser Belgrad-Reisebericht auch schon sein Ende. Nächste Station der ersten unserer beiden ↠ Balkan-Reisen war die bulgarische Hauptstadt, über die du in unserem ↠ Sofia-Reisebericht mehr erfährst. Wir wünschen viel Spaß beim Weiterlesen!

Reisen um zu reisen!
John & Marc

Belgrad Reisebericht

Veröffentlicht oder inhaltlich überarbeitet am:


17 Antworten zu “Belgrad Reisebericht: After Hour im Fischerdorf”

  1. Wir fanden Belgrad schön. Das Bier “Jelen Pivo” war sehr lecker! An dem Fluss Save reihte sich ein stilvolles Restaurant und Cafe nach dem anderen. Die serbische Küche war hervorragend. Ein Abendessen im Bohemian-Viertel “Skadarlija” empfanden wir wunderbar in einer entspannten Atmosphäre voller Kunst und Live-Musik. Ein Spaziergang auf der alten Festung ist ein Muss!

    • Danke für den Kommentar, liebe Mara! Wir sind auch absolute Fans von Belgrad und werden sicherlich bald ein drittes Mal zurückkehren. In Belgrad lohnt sich der zweite Blick unserer Erfahrung nach ganz besonders.

      Liebe Grüße
      John & Marc

  2. aha, jetzt hats geklappt. Die WordPress-Vorschau scheint gestreikt zu haben. Klingt nach meinem Geschmack. Marlene und ich reden auch schon lange davon, mal auf den Balkan zu fahren.

    Allerdings: Solltet ihr jemals nach Italien gehen, kann es sein, dass der Versuch, sich im besagten amerikanischen Schnellrestaurant ins Netz einloggen zu wollen, kläglich daran scheitert, dass man dort eine italienische Sim-Karte verlangt, um das Internet nutzen zu können. So uns passiert in Bologna :-/

    • Da hatte sich irgendwas in den Code eingeschlichen, jetzt geht es wieder. Seltsam! Aber danke für den Hinweis. 🙂

      Rückblickend war Belgrad sogar besonders schön im Vergleich zu den anderen Orten. Als wir da waren, fanden wir es erst mal ziemlich hässlich. Je länger wir da waren, desto wohler fühlten wir uns, und retrospektiv sagt die Nostalgie uns: Eine tolle Stadt. 🙂

      Ach, und zum Thema Wifi: Als Deutscher ist man da ja einiges gewohnt, ich glaube, auf dem Balkan ist man da fortschrittlicher, als teilweise hierzulande…

  3. Hello again,

    wie immer lesenswert👍 Eure Geschichte erinnert mich direkt an einige eigene Erlebnisse. Solche Highlights kann und sollte man nicht planen. Sie kommen von ganz alleine.
    LG

  4. Hallo Ihr Beiden, wieder einmal ein echt schöner Artikel. Ich mag Euren Schreibstil sehr. Und fühlte mich sowohl mit Euch “wohl” am Donau Ufer. Als auch ein bisschen “beklommen” in Neu-Belgrad! Ihr habt die Stimmung 100% rübergebracht.

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